Gedoppelte Hoffnungslosigkeit

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (10.11.2009)

Aus einem Totenhaus, 08.11.2009, Basel

Am Theater Basel treiben Calixto Bieito und Gabriel Feltz Janaceks Oper «Totenhaus» noch die letzten Ansätze von Hoffnung aus.

Im Orchester rasseln die Ketten, staubtrocken fallen die Schläge der Pauken, und harmonische und melodiöse Klanginseln schieben sich wie Eisschollen über- und hintereinander. Schönheit oder Ruhe gibt es nur noch im Zitat, in der Erinnerung ans Leben vor dem Straflager.

Zeitlose Aktualität

In seiner letzten Oper hat Leos Janacek Dostojewskis Bericht aus dem Straflager vertont – ohne durchgehende Handlung oder Charaktere: Bruchstücke von Geschichten, Schilderungen von Delikten, bei denen schon nicht mehr eindeutig ist, was Realität und was Einbildung, was Stilisierung und was politische Realität in der Tyrannei. Dramaturgisch und musikalisch wirkt das bis heute modern und aufrüttelnd. Was Dostojewski an unverständlicher Brutalität und Kälte in zaristischer Zeit anklagte, ist nicht überholt.

Das ist in Basel mehr hör- als sichtbar. Gabriel Feltz, der hier vor einem Jahr in Bergs «Lulu» die ganze Schönheit der Musik betonte, setzt jetzt im «Aus einem Totenhaus» («Z mertveho domu») auf Härte und grosse Kontraste. Das musikalische Geflecht, manche Nebenstimme bleibt dabei unterbelichtet und der Klang ballt sich bisweilen laut und hart. Das passt zu den Bildern auf der Bühne. Auch der sehr plastisch singende Herrenchor und die zum überwiegenden Teil aus dem Ensemble besetzten Solisten (herausragend: Karl-Heinz Brandt und Claudio Otelli) bleiben ohne Schwächen. Das Problem entsteht, weil es eben zu perfekt passt, statt akustisch auch Kontrast zu geben.

Wenig Tiefgang

Denn ist Calixto Bieito der richtige Regisseur für dieses Stück? Bieito findet fast immer die grausamen und gnadenlosen Aspekte des Lebens, wie sie hier auch Janacek und Dostojewski aufzeigen. Wenn sich beim noblen Neuankömmling Gorjantschikow Häftlinge und Aufseher (natürlich mit Kalaschnikows) zur Demütigung verbrüdern oder der Jüngling Alej vergewaltigt wird, deckt Bieitos Interpretation keine verschütteten Seiten auf, sondern agiert an der Oberfläche.

Klamauk statt Realismus

Beim ironischen Gesang über den Adler als Zaren des Himmels ist das Kartonflugzeug Aljes eindrücklicher als der reale Doppeldecker, der die Bühne im zweiten und dritten Akt beherrscht, aber als Metapher nicht funktioniert. Wenn die Häftlinge schliesslich Theater spielen, droht der schockierend gemeinte Realismus in Klamauk zu kippen, ohne dahinter die absolute Verzweiflung zu zeigen – trotz des Endes, wo statt Freilassung die Hinrichtung steht. Denn auch sie war absehbar.