Sex und Gewalt im Baseler Straflager

Oliver Schneider, Wiener Zeitung (10.11.2009)

Aus einem Totenhaus, 08.11.2009, Basel

Uneingeschränkten Jubel erwarteten Regisseur und Bühnenbildner Calixto Bieito und sein Team am Samstagabend nach rund 100 konzentrierten Minuten. Haben sich die Basler, deren Theater kürzlich zum Opernhaus des Jahres gewählt wurde, an die schockierende Bildsprache des Katalanen gewöhnt? Oder verlangt die Leoš Janáceks Oper "Aus einem Totenhaus" geradezu nach Bieitos Deutung?

Irgendwo könnte das von Wellblechwänden umgebene, triste Straflager stehen, in dem ausschließlich Männer in der Utopie leben, wieder das Licht der Freiheit zu erblicken. Hart und spröde ist die Klangsprache, die Janácek für seine letzte Oper wählte. Sie spiegelt die Stimmung zwischen brutaler Aggression und Verzweiflung wider, in der Ansätze von Menschlichkeit und Vertrauen im Keim erstickt werden. Bieito verstärkt diese Wirkung, indem er das Werk in seine schonungslose Bild- und Bewegungssprache übersetzt. Schon wenn die Gefangenen zu Beginn Fußball spielen, liegt Gewalt in der Luft.

Die drei Akte besitzen eine Rahmenhandlung: die Ankunft und die Entlassung eines politischen Häftlings. Die Freiheit bleibt auch für ihn nur ein Wunschtraum, denn nach der Entlassung wird er, anders als im Original, hinterrücks erschossen. Die Freiheit symbolisiert ein in die Jahre gekommener Doppeldecker, im Libretto ein Adler: zunächst in der Größe eines Modellflugzeugs senkt er sich später in natura von oben herab. Krampfhaft mühen sich die Gefangenen ab, ihn zu bewegen. Doch so wie sie ihr Schicksal nicht wenden können, ist auch diese Mühe vergebens.

Explosive Stimmung

Abwechslung in den Gefängnis-Alltag bringt ein Feiertag: Bieito spitzt die explosive Stimmung mit einer minutiös auf die Musik abgestimmten Bewegungsregie zu, in der selbst die Theateraufführungen im musikalisch freundlicher kolorierten zweiten Akt den grotesken Charakter verlieren. Die Gefangenen lassen ihren sexuellen Begierden freien Lauf, ergötzen sich an Vergewaltigungsszenen und Teufeln mit übergroßen Penissen. Den kurzen Auftritt einer Dirne hat Bieito modifiziert: Er macht aus der Dirne einen Mann, denn den Gefangenen bleibt nur die gleichgeschlechtliche Liebe.

Im Mittelpunkt jedes Aktes steht ein Monolog eines Häftlings: Beispiele für die anonym bleibenden Einzelschicksale. Hier treten einzelne Ensemblemitglieder aus dem homogenen Ensemble aus Chor (Einstudierung: Henryk Polus) und Solisten hervor. Vor allem Rolf Romei als ausdrucksstarker Skuratow und Claudio Otelli als stimmgewaltiger Schischkow.

Dass Wort und Bewegung so bestechend koordiniert sind, ist auch Gabriel Feltz zu verdanken, der das Sinfonieorchester Basel durch das stetig vorwärtstreibende, kantig-expressive Werk führt und die grellen Klangkontraste herausarbeitet.