Arme dreihundertjährige Schönheit

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (19.06.2006)

Vec Makropulos, 17.06.2006, Zürich

Erstmals ist im Opernhaus Leo Janáeks Oper «Die Sache Makropulos» zu sehen. Klaus Michael Grüber überlässt die Regie fast ganz dem Orchester.

Den ganzen Abend über steht sie unbeweglich im dunklen Hintergrund, die altmodische Dampflok, und man fragt sich, was sie da soll. Erzählt wird in diesem Stück von einem Leben, das seit 337 Jahren währt, das nicht enden will und das in seiner Todlosigkeit gelangweilt stehen bleibt. Elina Makropulos, Tochter des Leibarztes von Kaiser Rudolf II., seit über 300 Jahren unsterblich dank eines Elixiers ihres Vaters, ist nach Prag zurückgekehrt, weil sie das Rezept, das sie einst einem Liebhaber gab, wieder braucht, um ihre Unsterblichkeit zu erneuern. Im Erbkonflikt mitden Nachkommen ebendieses Liebhabers schliesslich erkennt sie endlich den Sinn des Sterbens und stirbt.

Ein absurder Stoff, der viel Hintersinn birgt, ist «Vec Makropulos», eine tragische Kriminalkomödie von Karel apek, die Leo Janáek vertont hat und die 1926 in Brünn uraufgeführt wurde. 1922 spielt das Stück, in einer Gegenwart also (was für eine Oper allein schon ungewöhnlich ist) und doch in der Vergangenheit, die keinen Sinn hat, weil die Zukunft für die Hauptdarstellerin gleichgültig geworden ist.

Eine Opernsängerin mit wechselnden Namen ist diese Elina Makropulos zudem, sie ist, just etwa so alt wie die Form der Oper selber, eine Diva, was der Rolle einen besonderen Reiz verleiht. Denn Janáeks «Die Sache Makropulos» ist wie Schönbergs «Moses und Aaron», Richard Strauss' «Capriccio», ja auch Puccinis «Turandot» ein Werk, das die Gattung Oper an einem ihrer Enden nochmals spiegelt. Sprachgesang, parlar cantando: Das ist Musik, die der Sprechmelodie abgelauscht ist. Folgerichtig ist es, dass diese Hauptfigur denn auch von einer Diva verkörpert wird: Gabriele Schnaut, aus grossen Wagner- und Strauss-Rollen auch in Zürich bekannt, hat eine grosse Stimme und ist eine imposante Erscheinung. Und die leichte Schärfe in ihrer Stimme ist gerade dazu angetan, die schneidende Kälte dieser Person darzustellen, die nur momenteweise Gefühle zulässt. Diese Darstellung gelingt Gabriele Schnaut stimmlich und über weite Strecken auch darstellerisch höchst überzeugend.

Die Musik folgt der Sprache

Und das mit allen Gefühlswechseln, denn die eigentliche Herausforderung von «Vec Makropulos» ist: Es ist ein Konversationsdrama (glücklicherweise erscheint heutzutage der deutsche Text in Übertiteln). Der Autor selber bezweifelte, ob es sich zur Oper eigne, liess den Komponisten dann aber gewähren. Gelegentlich ist diese Operntauglichkeit auch später bemängelt worden, und doch ist gerade diese Sprachnähe das Spannende an dem Werk. Janáek folgt der Sprache quasi Satz für Satz, nicht nur im Singduktus, sondern auch im wunderbar farbigen und vielschichtigen Orchestersatz. Von Partikel zu Partikel verändert sich die Textur, manche überlagern sich, das Klangbild ist ungemein sprunghaft, extreme Klangvaleurs werden aufgesucht und ausgelotet. Das darf man nicht glätten, und doch sollte der Fluss der Konversation gewahrt bleiben. Eine heikle Aufgabe, die das Opernhausorchester unter der Leitung des jungen Philippe Jordan insgesamt mit Flexibilität bewältigt, wenn auch im Detail noch Abstriche zu machen wären. Dass dieses Ensemble auf Risiko spielt, wird der Musik freilich viel eher gerecht als eine wohlabgerundete Interpretation.

Vielleicht könnte man sogar sagen, dass sich das Wesentliche im Orchester abspielt. Von daher ist es konsequent, dass Regisseur Klaus Michael Grüber nicht zu viel aus dem Bühnengeschehen machen will, dass sich das Stück über lange Zeit nur im vorderen Teil der Bühne bewegt. Im Hintergrund scheint sich freilich stets etwas zu regen. Was das soll? Es stört zumindest nicht. So wie sich die Kostüme von Moidele Bickel der Epoche anpassen (der Janek von Boguslaw Bidziski sieht aus, als wäre er einem Stummfilm entsprungen), so folgt auch die Personenführung dem Konversationston. Das wirkt in diesem Ensemble wohltuend unaufgeregt, genau geführt. Zu nennen wäre da vor allem Alfred Muff (als Baron Prus), dann der leicht indisponierte und deswegen entschuldigte Peter Straka (als Albert Gregor), Rolf Haunstein (als Anwalt Kolent), Boiko Zvetanov (als skurriler Graf Hauk) sowie Martina Jankova (als junge Sängerin Krista, der es schliesslich obliegt, das Rezept des Elixiers zu zerstören).

Der Tod steht ihr gut

Sie alle gruppieren sich locker um die fast übermächtig zentrale Rolle der Elina Makropulos, sie halten aber auch das Stück in Gang. Erst am Schluss, wenn diese ihr Geheimnis enthüllt und die anderen Personen zur Staffage werden, öffnet sich der Raum in die Tiefe. Das Bühnenbild, das von der 2004 verstorbenen Künstlerin Titina Maselli konzipiert und von Barbara Bessi umgesetzt wurde, verliert seltsamerweise gerade da an Wirkung. Das Bühnengeschehen friert ein, als müsse es nun doch noch einer tiefsinnigen und effektvollen Symbolik im Schlussbild zu ihrem Recht verhelfen. Aha! Jetzt endlich setzt sich die Lok in Bewegung und nimmt langsam, aber unaufhaltsam die Protagonistin mit in den Tod.