Rastloser Poet zwischen Liebenden

Stefan Degen, Neue Luzerner Zeitung (24.11.2009)

Il corsaro, 22.11.2009, Zürich

Mit Verdis «Il Corsaro» zeigt das Opernhaus Zürich eine Rarität. Ein überzeugendes Regiekonzept und packende Sänger tragen den Abend.

Was bedeutet es, ein Korsar, ein Pirat zu sein? Dieser Frage will Regisseur Damiano Michieletto nachgehen. Die Vorlage für Giuseppe Verdis zwölfte Oper ist Lord Byrons Verserzählung «The Corsair» von 1814. Der Titelheld ist von Byron selbst stark inspiriert. So lag es für Michieletto nahe, diesen Corrado als rastlosen Poeten zu zeigen und dem Mythos des romantischen Dichters nachzuspüren. Verdi hatte sich vier Jahre lang mit dem Stoff befasst, seine 1848 uraufgeführte Oper aber am Ende als nicht gelungen empfunden, ja, er distanzierte sich später sogar von diesem Melodramma tragico.

Stimmungsvolle Bilder

Das zentrale Element in der Zürcher Inszenierung (als schweizerische Erstaufführung) ist das Meer, das im Bühnenbild von Paolo Fantin allgegenwärtig ist. Auf der Bühne ist eine riesige Wasserfläche, seitlich und darüber befindet sich eine raumfüllende Spiegelkonstruktion. Schwimmende Inseln und ein querverlaufender Steg bilden die Schauplätze. Zusammen mit der ausgeklügelten Lichtregie ergeben sich überaus stimmungsvolle Bilder. Natürlich waten Choristen und Solisten in wasserfester Kleidung (Kostüme: Carla Teti) durch die «Fluten», doch wird dies zum Glück nicht überstrapaziert.

Die Personenregie mit den vier Protagonisten ist klar konturiert. Der Titelheld Corrado ist ein ruhelos Getriebener zwischen zwei liebenden Frauen. Sein Schicksal steht im Zentrum der nur gerade 90-minütigen Oper. Gegenspieler des Korsaren ist der Pascha Seid. Der Spanier Juan Pons verkörpert diesen Herrscher mit starker Bühnenpräsenz und noch immer warmem Bariton. Elena Mosuc als leidende Geliebte des Korsaren verleiht der Medora mit lyrischem Sopran überaus anrührende Züge. Ganz anders Gulnara, die Favoritin von Said: Carmen Giannattasio gestaltet ihre Figur mit starkem dramatischen Nachdruck. Sie führt ihre Stimme mit Verve durch die schwierige Partie – die Überraschung des Abends.

Idealer Titelheld

Der junge italienische Tenor Vittorio Grigolo ist eine ideale Verkörperung des Heisssporns Corrado. Er singt sich mit viel Schmelz durch die heiklen Klippen seiner Rolle und sieht dazu als Pirat auch noch blendend aus. Zu den herausragenden Nummern im «Corsaro» gehören das Duett Corrado/Gulnara im dritten Akt sowie das ätherische Schlussterzett. Der junge norwegische Dirigent Eivind Gullberg Jensen musiziert mit dem Orchester der Oper Zürich auf hohem Niveau. Die Partitur bietet neben kraftvollen, zweiteiligen Arien auch subtile Lyrismen. Lang anhaltender Applaus an der Premiere.