Verdi-Virus mit Grippe- Symptomen

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (24.11.2009)

Il corsaro, 22.11.2009, Zürich

Verdis Oper «Il Corsaro» wird kaum gespielt. Warum, zeigt sich jetzt im Opernhaus Zürich.

In Sachen Giuseppe Verdi (1813–1901) muss den Zürcher niemand etwas vormachen: kein Stimmfanatiker aus Parma, kein Verdi-Vertrauter aus Busseto und schon gar kein Mailänder Scala-Abo-Besitzer. Zürich gilt spätestens seit dem Verdi-Jahr 2001 als das A und O der Verdi-Rezeption. Von Attila bis Otello gab es alles. Alles? «Il Corsaro» nicht (und, unter uns, auch «Alzira» «fehlt» noch)! Das lag Alexander Pereira offenbar auf dem Magen. Und da er 2013, im nächsten Verdi-Jahr, bereits in Salzburg arbeitet, musste er «Il Corsaro» jetzt bringen. Verdi-Jahr hin oder her: Dass schon bei der Premiere Plätze leer blieben, hat nichts zu sagen: Das Grippevirus ist selbst in Zürich stärker als das Verdi-Virus.

«Il Corsaro» ist nicht etwa ein Frühwerk, sondern Verdis dreizehnte Oper, 1848 geschrieben, nach «Nabucco» oder «Macbeth» und nur zweieinhalb Jahre vor «Rigoletto». Dennoch ist die Oper selbst in Italien praktisch unbekannt. Es fehlt ihr nicht nur an starken Charakteren, sondern auch die Musik – verzeih, o Verdi! – zeigt immer wieder Durchhänger.

Ein intellektueller Pirat sehnt sich mehr nach seinem Tod als nach den zwei Frauen, die ihn begehren. Als Korsar kämpft er gegen das Böse, gerät in Gefangenschaft, wird befreit, da Geliebte B seinen Feind erdolcht. Zurück bei Liebe A, muss er erkennen, dass sie sich aus Verzweiflung vergiftet hat. Darauf tötet er sich auch. So weit, so belanglos.

Da die Ouvertüre auch nichts hergibt, springen wir gleich zur Auftritts-Arie des Tenors. Vittorio Grigolo – SF-Zuschauer kennen ihn aus der «Traviata am Hauptbahnhof» – singt den Korsaren. Genau der Richtige, um dieses Werk zu beleben. Die leidenschaftlichen Sätze werden bei Grigolo feurig, die zarten zu süssesten Liebkosungen. Grigolo bleibt sich treu: Er überzeichnet lieber mal eine Geste, als dass sie belanglos wäre. Dass mitunter auch mal eine Phrase unterbelichtet ist, weil dafür der Atem fehlt, fällt kaum ins Gewicht.

Da hat es Elena Moscu als unglückliche Geliebte Medora schwerer. Sie singt einfach nur wunderschön, wohlgeformt. Der Sopran ihrer Rivalin Carmen Giannattasio (Gulnara) hingegen funkelt dunkel und geheimnisvoll wieein Bernstein. Giannattasio macht aus der blass skizzierten Figur eine kühne Heldin. Gegen so viel Leidenschaft hat es der alternde Juan Pons als Bösewicht schwer, auch wenn sein Bariton immer noch milde Wärme verströmt.

An den Sängern liegt es nicht, dass der Abend bloss «Hallo»-sagend vor einem durchspaziert. Eher an Eivind Gullberg Jensen. Der junge norwegische Aufsteiger dirigiert einem Klischee hinterher, findet die dramatische Geste nicht. Wo es sowieso schon rauscht und strömt, setzt er den Finger drauf, anstatt im Inneren eine Verdi-Diktion zu suchen.

Regisseur Damiano Michieletto macht aus dem Korsaren einen Dichter, aus seinem Feind, dem Pascha Said, einen Menschen, der nichts anderes als Geld im Kopf hat. Warum nicht? Protagonist ist sowieso sein Partner, der Bühnenbildner Paolo Fantin. Er hat eine spektakuläre Bühne gebaut, deren zentrales Element das Wasser ist: Nicht nur, dass darauf Betten und Schreibtische fahren, das Geschehen wird auch effekt-voll gespiegelt. Allerdings schränkt das Wasser die Bewegungsfreiheit der Protagonisten störend ein. Eine augenzwinkernde Annäherung à la «Pirates of the Caribbean» wäre vielleicht doch besser gewesen. Oder – schrecklich zu sagen! –: Hätte man sich diesen Verdi gar sparen können?