Für Verdi die Bühne geflutet

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (24.11.2009)

Il corsaro, 22.11.2009, Zürich

Ein junges Team frischt am Opernhaus Zürich mit viel Wasser die Verdi-Rarität «Il Corsaro» auf.

Opernliebhaber unterschiedlicher Richtungen könnten sich wieder einmal über diese Neuinszenierung aufregen: Weder gibt es schön naturalistische und entsprechend opulente Opernszenen, keine Piraten à la Erroll Flynn oder Johnny Depp, keine Dreimaster, keine Kanonen, keine Totenköpfe, noch packt man die Chance beim Schopf, um Aktualität und Problematik des Stücks hervorzuheben: die Schwarzweissmalerei und ziemlich krude Ablehnung der muselmanischen Gegenseite. Fast nichts von all dem gibt es hier in «Il Corsaro» von Giuseppe Verdi zu sehen. Und doch gabs am Schluss der Premiere vom Sonntag erstaunlich viele Bravorufe für das Regieteam.

Ein Aufatmen, ja ein Staunen nämlich war zuallererst schon im Publikum spürbar, als der Vorhang hochging. Ein helles, klares, farblich eindringliches Bild ist da zu sehen: Wasser, knöcheltief, auf der ganzen Bühne, hellblau strahlend, und damit es nicht öd und leer wie ein verlassener Swimmingpool wirkt, wird es auf den Seiten und gegen oben in die Schräge gespiegelt. Ein sehr einheitlicher und doch wandlungsfähiger Raum entsteht so. Die vielen Spiegelflächen haben allenfalls den Nachteil, dass der Klang der Stimmen generell etwas härter und kälter wird, aber optisch funktioniert es wunderbar. Das Bühnenbild von Paolo Fantin und Carla Teti ist ein entscheidendes Plus dieses Opernabends. Und Regisseur Damiano Michieletto nutzt ihn in seiner Neuinszenierung geschickt.

Lieben und töten

«Erstinszenierung» müsste man freilich eher sagen, denn «Il Corsaro», 1848 in Triest uraufgeführt, erscheint zum ersten Mal auf der Zürcher Opernbühne. Das Stück hat keinen besonders guten Ruf, schliesslich ging nicht mal der Komponist zur Uraufführung, er war wohl nicht überzeugt von seiner Arbeit und hatte schon Besseres im Sinn. Und das genau ist der Punkt: Dem Vergleich mit den in den folgenden zehn Jahren entstandenen Opern wie «Rigoletto», «Il Trovatore» und «La Traviata» hält dieser Korsar nie und nimmer stand. Was nicht heisst, dass er schlecht wäre. Im Gegenteil: Das Werk ist kurzweilig (und mit zwei Stunden Dauer verhältnismässig kurz), konzis gestaltet, es enthält markante Charaktere und mitreissende Nummern. Es hapert allenfalls - immer im Vergleich mit Späterem - an der Psychologie und Glaubwürdigkeit der Personen.

Der Korsar Corrado, hinter dem man, wie es die Inszenierung andeutet, durchaus einen von einem unbestimmten Schicksal getriebenen Poeten wie Lord Byron, den Dichter der Vorlage, vermuten darf, muss aufs Meer hinaus, um zu kämpfen. Er lässt seine trauernde Gattin Medora zurück, besiegt fast seinen Widersacher, den Pascha Seid, wird aber doch überwältigt und gefangen genommen, weil er ausserdem noch die Haremsdame Gulnara aus den Flammen rettet. Diese wiederum, sogleich in Liebe entbrannt, befreit ihn und tötet bei der Gelegenheit gleich ihren Mann und Tyrannen (eine Tat, die der grüblerische Corrado denn doch allzu «perfido» findet). Als die beiden heimkehren, ist Medora gerade daran, an dem Gift zu sterben, das sie in ihrer Hoffnungslosigkeit schluckte. Corrado stürzt sich verzweifelt ins Meer.

Zwei starke Frauen

Das Ganze wirkt etwas holzschnittartig, aber die Musik entfaltet sich dabei doch auf vitale Weise: kernig, nervig, kraftvoll, ja zuweilen höchst originell - und sie gibt den Protagonisten Gelegenheit, vokal zu strahlen und leidenschaftlich zu lieben. Allen voran nutzt dies Vittorio Grigolo als Corrado, mit Verve, lebhaft, passioniert, wobei er aufpassen muss, nicht allzu sehr in tenorale Mätzchen abzurutschen. Er ist tatsächlich kein munterer Pirat, sondern vielmehr ein hamletartig zerrissener Künstlertyp. Umgeben ist er von zwei starken Frauen: gefühlvoll die Medora von Elena Mouc, eine grosse Leidende und Sterbende; energisch im Ausdruck, ja direkt vorwärtsschreitend hingegen die noch junge und verheissungsvolle Carmen Giannattasio als Gulnara, die am Schluss umso mehr zerbricht. Dieses Vokaltrio beherrscht den Abend.

Einzig bei Juan Pons als Pascha Seid vermisst man die gewohnte Souveränität und Schwärze in der vokalen Gestaltung. In dieser Person zeigen sich die Schwächen des Werks, aber auch der Regiearbeit. Der Aktionsradium dieses Paschas wirkt durch das Wasserbecken denn doch etwas eingeschränkt. Im Allgemeinen aber nutzt Regisseur Michieletto die szenische Vorgabe aber doch einfallsreich: Er lässt den Chor von allen Seiten durchs Wasser schreiten; Blätter und Rosen fallen ins Wasser, werden von dort wieder aufgehoben; Kreisläufe der Bewegung entstehen so, Bilder, die etwas Traumhaftes, Schwebendes haben. Gewiss: Das ist insgesamt nicht zwingend und hat keine tiefere Bedeutung. Aber gerade das tut wohl; dieses Fehlen an herbeibemühter Symbolik macht den Blick und das Hören frei auf das Stück selber.

Eine Wiederbelebung mit Elan

Eivind Gullberg Jensen, der das grösstenteils sehr junge Team am Dirigentenpult ergänzt, schält mit dem Orchester der Oper die Qualitäten der Partitur überzeugend heraus. Verdis Musik wirkt hell im Klang, nicht angestaubt, etwas aggressiv wohl auch, und sie kommt mit Elan rüber. So wird eine Partitur wiederbelebt. Es ist ein sehens- und hörenswerter Abend geworden.