Zusammengeführt, was nicht zusammengehört

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.12.2009)

Ariane, 10.12.2009, Luzern

Im Theater Luzern ist am Donnerstag Bohuslav Martinus Version des Ariadne-Stoffes aufgeführt worden. Das Theater kombinierte die Kurzoper mit Maurice Ravels musikalischer Burleske «L'heure espagnole».

Wie eine antike Göttin steht Madelaine Wibom am Ende zwischen gigantischen schwingenden Pendeln: Ein schönes Bild, dem an der Luzerner Premiere von Bohuslav Martinus «Ariane» am Donnerstag sonst wenig Schönes zur Seite stand. Der Minotaurus ist beim französischen Surrealisten Georges Neveux nicht ein Monster im Labyrinth, sondern eine Facette der Persönlichkeit von Theseus selber. Martinu übernahm bei seinem Operneinakter diese Sichtweise.

Was aber macht Regisseurin Christine Cyris im Theater Luzern aus einem solch komplexen, psychologisch aufgeladenen Stoff, der sich wunderbar für die Opernbühne eignen würde? Sie schaffte es tatsächlich, mit einer völlig sinnlosen Regie-Idee, das ganze Gefüge zu zerstören: Ariadne selbst stösst - anders als in der antiken Sage - dem Minotaurus das Messer ins Herz, tötet damit in letzter Konsequenz die Liebe ihres Geliebten zu ihr. Ist das die feministische Variante? Immerhin hat sie danach doppelt Grund zur herzzerreissenden Klage, für die Martinu auch zu seiner schönsten Musik zurückfand. Zuvor hatte der Komponist immer wieder eher irritierende neoklassizistische Anklänge bemüht, die munter wie ein Uhrwerk unvermittelt losschnurrten und die subtilen, fast geheimnisvollen Stimmungen der surrealistisch angehauchten Verschmelzung und Vermischung von Identitäten auf eine seltsame Weise unterliefen.

Keine glückliche Hand gehabt

Auch sonst hatte Cyris keine glückliche Hand mit ihrer Inszenierung des Doppelabends. Dominierende Bühnenidee sind gigantische Pendel von Werner Hutterli, die zur Uhrmacher-Werkstatt der «L'heure espagnole» bestens passen. Für «Ariane» stehen sie dann auf der Bühne und pendeln verkehrt herum nicht minder hübsch, und wir haben alle gemerkt: Das ist eine andere, konträre Welt als die schablonenhaften Figuren in Maurice Ravels Commedia-dell'arte-Verschnitt. Dass Cyris dennoch versucht, die beiden Frauenfiguren im Vorspiel und am Ende irgendwie zusammenzubringen, illustriert nur die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens.

Man hätte es einfach dabei bewenden lassen können, die beiden Stücke bezugslos nebeneinander zu stellen und sich dafür darauf konzentrieren sollen, die spanische Komödie wenigstens lustig zu erzählen. Aber diese Inszenierung war geradezu ein Lehrstück, wie man sich verweigert, ohne einen Ersatz anzubieten: Verkünstelt und vermurkst schleppte sich das Stück, das doch so voller Esprit, Tempo und einem zugegebenermassen platten, aber bühnenwirksamen Witz ist, über die Distanz.

Musikalisch nicht alles im Lot

Auch musikalisch bleiben diesmal in Luzern einige Wünsche offen. Ravels Orchestrierungsfinessen verlangen sehr viel Aufmerksamkeit und Souveränität sowohl von den Orchestermusikern wie vom Dirigenten. Daran darf Rick Stengards mit dem Luzerner Sinfonieorchester gerne noch arbeiten. Auch für Martinu wären stellenweise delikatere Nuancen zu wünschen, phasenweise war das Orchester hier auch schlicht zu laut. Nicht wegen der Sänger, die verstanden es, sich Gehör zu verschaffen, aber mehr Subtilität in den impressionistischen Stimmungen und hin und wieder dynamische Zurückhaltung in den neoklassizistischen Passagen würden vielleicht den musikalisch heterogenen Charakter des Stücks etwas mildern.

Eine breitere, reichere Klangfarbenpalette hätte man auch einzelnen Sängern gewünscht, etwa Boris Petronje als Minotaurus, Jason Kim als verliebtem Dichter bei Ravel und vor allem auch Madelaine Wibom als Ariadne. Rundum überzeugend sang dagegen Tobias Hächler sowohl den athletischen Maultiertreiber bei Ravel wie den hin- und hergerissenen Theseus bei Martinu.