Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (12.12.2009)
Ravels «L’heure espagnole» und Martinus «Ariane» stellen das Phänomen Liebe ganz gegensätzlich dar. Einmal feurig, einmal kühl.
Einmal mehr macht das Luzerner Theater seinem Ruf als Entdeckertheater alle Ehre, diesmal mit zwei Kurzopern in französischer Sprache: Mit Ravels «L’heure espagnole» und mit Martinus «Ariane», die überhaupt zum ersten Mal in der Schweiz aufgeführt wurde.
Da oft Kritik an den engen Verhältnissen und der angeblich schlechten Akustik des Luzerner Theatergebäudes geübt wird, darf man wieder einmal festhalten: Gerade für solche Werke bietet die kleine Luzerner Bühne ideale Voraussetzungen, weil sie mit wenig Personen und wenig Raum ohne grosse Verwandlungen auskommt.
Riesige Pendel schwingen
In Ravels 1911 uraufgeführtem Einakter «L’heure espagnole» ist es eine Uhrenwerkstatt mit verschiedenen Standuhren. Werner Hutterli, der beide Bühnenbilder schuf, ersetzte sie durch grosse Pendel, die im Lauf der Aufführung hin und her pendeln und dem Ganzen etwas Schwebendes geben.
Trotzdem erlauben auch sie, die verschiedenen Liebhaber zu verstecken, die in der Werkstatt aufkreuzen. Das ist wichtig, denn das Libretto von Franc-Nohain arbeitet streng nach den Gesetzen der klassischen Boulevard-Komödie mit dem Zu- und Aufschlagen von Türen, bis die allgemeine Verwirrung total ist.
Das Luzerner Sinfonieorchester unter der engagierten Leitung von Rick Stengards liess dazu immer wieder Farben eines glühenden spanischen Kolorits aufleuchten. Der Klang hatte viel sinnliche Wärme. Eine in jeder Beziehung famose Leistung bot zudem Caroline Vitale als Concepción, die Frau, die sich von ihrem Mann, dem Uhrmacher (Utku Kuzuluk), der nur das Geschäft im Sinn hat, vernachlässigt fühlt. Mit allen Tricks der Weiblichkeit narrt sie ihre Liebhaber, bis sie – dies die Pointe der irrwitzigen Komödie – ihre Befriedigung ausgerechnet in dem unbeholfen-naiven Maultiertreiber Ramiro findet, dem Tobias Hächler ein herrlich naturburschenhaftes Wesen verleiht.
Sexuelle Erfüllung
Concepción sucht die Liebe in der sexuellen Erfüllung. Sie verhält sich damit zu Ariane, der Titelheldin des Einakters von Bohuslav Martinu wie Zerbinetta zu Ariadne in der Richard-Strauss-Oper «Ariadne auf Naxos». Die Regisseurin Christine Cyris, die nach der Operette «Der Vogelhändler» nun diese beiden Einakter inszenierte, deutet diese Verbindung an, indem sie zu Beginn und am Schluss die beiden Frauen gemeinsam kurz auftreten lässt.
Tatsächlich ist auch Concepción nicht nur das flatterhafte Geschöpf, das von Mann zu Mann hüpft. Auch sie ist im Innern rätselhaft, erkennt doch Ramiro, in der Frau sei ein komplizierter Mechanismus, den er nicht verstehe. Dennoch: Ariane bei Martinu ist aus einem ganz andern Holz geschnitzt. Die Inszenierung hebt den Gegensatz dieser aus dem antiken Mythos schöpfenden lyrischen Oper deutlich hervor: Indem die Akteure fast im Zeitlupentempo und ganz stilisiert agieren, indem die bei Ravel dominierenden roten Farben eher kühlen, himmelblauen Farben weichen (Kostüme Silvana Arnold) und indem die Bühne in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt wird. Aus den Pendeln des Ravel-Stücks sind in «Ariane» eine Art Schaukeln geworden.
Für Maria Callas bestimmt
Die Sopranistin Madelaine Wibom hatte als Ariane ihren grossen Auftritt und sang mit weitbogigen Kantilenen die angeblich für Maria Callas bestimmte Partie. Einen grossen Anteil an der musikalischen Leistung hatte der Herrenchor mit seinen A-cappella-Gesängen. Die Premiere am Donnerstagabend war erstaunlicherweise nicht besonders gut besucht, umso enthusiastischer quittierten die Anwesenden die Darbietungen. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall, schon wegen des Ravel-Einakters.