Herbert Büttiker, Der Landbote (12.12.2009)
Der kaum bekannten «Ariadne» war die jüngste Premiere im Zeichen des 50. Todestages von Bohuslav Martinu gewidmet. Das Theater Luzern setzt damit einen Zyklus fort, der im Opernhaus Zürich begann und auch Winterthur streifen wird.
Bohuslav Martinus 50. Todestag – er starb am 28. August 1959 in Liestal – gibt Anlass zu konzertierten Aktionen: Fünf Schweizer Bühnen haben schon letztes Jahr ihre speziellen und über einen grösseren Zeitraum geplanten Projekte zur Martinu-Hommage gemeinsam bekannt gegeben. Warum der ungewöhnliche Einsatz für den tschechischen Komponisten? Martinu hat um die 30 Werke in der Zeit seiner Aufenthalte in der Schweiz oder in schweizerischem Auftrag komponiert. Sein dramatisches Hauptwerk, die Oper «Griechische Passion» ist postum 1961 am Opernhaus Zürich uraufgeführt worden. Es gibt somit gute Gründe, dem Nachruhm des Künstlers hier besonders Sorge zu tragen. Dafür setzt sich insbesondere die Schweizerische Martinu˚ -Gesellschaft ein, die in Basel alljährlich die Martinu-Musikfesttage durchführt und die Opernprojekte zum 50. Todestag mit angeregt hat.
Aber die Geschichte des Martinu-Opernreigens ist eigentlich auch eine ganz andere. Denn in den Opernspielplänen hat sein Werk ohnehin eine Präsenz, die sich im vergleichsweise dünnen Bühnenrepertoire des 20. Jahrhunderts durchaus markant ausnimmt. Beispielsweise erfuhren beide grossen Hauptwerke – «Julietta» 1999, «Griechische Passion» 2002 – im Bregenzer Festspielhaus spektakuläre Wiedergaben, und wenn das Opernhaus Zürich bereits im letzten Jahr die «Griechische Passion» neu inszenierte und das Théâtre de Genève eine neue «Julietta» erst in der Spielzeit 2010/11 herausbringen wird, so lässt sich das ebenso gut als «normale» Arbeit am Repertoire des 20. Jahrhunderts verstehen wie als spezifische Hommage zum 50. Todesjahr des Komponisten.
Kurzopern als Neuland
Eher Neuland sind Martinus kurze Opern, witzige und ernste Einakter, die in unterschiedlichen Zusammenhängen entstanden sind, als Rundfunk- und Fernsehopern zum Beispiel. Das Zürcher Opernstudio ging ohne spezifischen Anlass schon 2006 mit der «Heirat» (nach Gogol) voran und bot zusammen mit Francis Poulencs «Les mamelles de Tirésias» einen originellen Doppelabend. Die Stadttheater von Biel/Solothurn und Luzern gingen diesen Herbst auf Entdeckungsreise und stellten Maurice Ravels Dauerbrenner «L’heure espagnole» von 1911 je eine Martinu-Rarität zur Seite. Biel/Solothurn zeigt seit Oktober die einaktige Opera buffa «Alexandre bis». Sie entstand 1937 für die Weltausstellung in Paris, wurde aber zu spät fertig und kam erst 1964 in Mannheim zur Uraufführung (siehe Kontext). Am Luzerner Theater hatte soeben der Doppelabend mit Ravel und Martinus 1958 entstandener und 1961 in Gelsenkirchen postum uraufgeführter Lyrischer Oper in einem Akt «Ariadne» Premiere.
Ironie und Psychoanalyse
Literarisch sind beide Stücke in der französischen Avantgarde angesiedelt, in deren Bannkreis sich Martinu in Paris bewegte. Dem absurden Theater zuzurechnen ist André Wurmsers Libretto zu «Alexandre bis», zum Kreis der Surrealisten gehörte Georges Neveux, der Martinu die Vorlage nicht nur für «Ariadne», sondern auch für «Juliette» lieferte. Musikalisch allerdings wollte sich Martinu mit der Sehnsucht nach der Volksmusik seiner alten Heimat im Herzen und mit dem Streben nach einer Musik als Synthese der Epochen explizit nicht als Avantgardist verstanden wissen. Er war ein musikalischer Pendler, der die Tiefenströme von Räumen und Zeiten auslotete, um daraus seine Musik zu speisen.
Im Umfeld des Neoklassizismus und des Group de Six erscheint «Alexandre bis» noch als ein Vertreter jenes antiromantischen, ironisch-artistischen Theaters, das sich sehr wohl auf Ravel und seine – szenisch allerdings wesentlich handfestere, musikalisch subtilere – Hommage an die alte Opera buffa berufen konnte. Dagegen ging es in «Ariadne», bei der Martinu an Maria Callas als Protagonistin gedacht haben soll, um die lyrischen Urkräfte der Musik, sodass alle ironische Distanzierung fern liegen musste. Was beide Stücke dann wieder verbindet, ist die Aufsplitterung der Identität in mehrere Figuren, mit anderen Worten ein psychoanalytischer Hintergrund, mit komischer Wirkung beim doppelten Alexander, verinnerlicht in der Deutung des Ariadnemythos.
Das Ausschlagen des Pendels
Eine von Werner Hutterli raffiniert gestaltete Bühne gibt der «Ariadne» sehr schön den angemessenen Seelenraum – klug auch als Abwandlung der Uhrenpendel, die bei aller Abstraktion für «L'Heure espagnol» als realistisch-buffoneske Vorgabe funktionieren. Ein hervorragend singendes und drastisch karikierendes Ensemble mit der Caroline Vitale als Conceptión im Zentrum betont die grotesken Züge des Stücks, die das Orchester klangsinnlich opulent mitzeichnet.
In «Ariadne» schlagen dann die Pendel nach oben aus. Es geht um andere Schwingungen als das Tick-Tack eines Liebesuhrwerks. Ein wenig aufgesetzt versucht die Regisseurin Christine Cyris die beiden Stücke aufeinander zu beziehen, aber sie schafft mit einem einfachen und stilisierten Bewegungsgeschehen prägnant die richtige Kontrastatmosphäre für das symbolhafte Geschehen, in dem Theseus und der Minotauros als Teilaspekte der einen Liebesbegegnung mit der Frau miteinander konfrontiert werden.
Martinu findet in diesem Spätwerk zu einem überraschend einfachen Belcanto, der auch an Strauss erinnert, und zu starker Duettdramatik. Madelaine Wibom (Ariadne) und Tobias Hächler (Theseus) imponieren mit reichen sängerischen Entfaltungsmöglichkeiten. Wenn dann aber im weiteren Verlauf das psychologische Quiproquo zu dominieren beginnt, verliert sich auch die szenische Spannung. Auch riskiert die Musik einiges an Ausdünnung, zwergenhaft stapfen die sieben Griechenhelden von der Bühne. Das muntere Marschthema des Vorspiels, das am Ende wie aus der Spieldose widerkehrt, mag irritieren: Beides verweist aber, wie der Abend überhaupt, auf die qualifizierte Präsenz des Orchesters unter der Leitung von Rick Stengårds.