Ein schmerzvoller Abschied

Georg Rudiger, kultiversum (14.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

David Pountney inszeniert «Die Frau ohne Schatten» von Richard Strauss als Klangrausch am Opernhaus.

Wenn ein Dirigent nach dreizehn Jahren ein Opernhaus verlässt, dann muss dieser Abschied nicht unbedingt schwer fallen. Häufig sind nach solch einer langen Zeit auch Verschleißerscheinungen bemerkbar, so dass alle Beteiligten ganz froh sind, wenn mit einer neuen Persönlichkeit auch neue Ideen und andere Qualitäten eingebracht werden. Am Opernhaus Zürich ist nach dieser fulminanten Premiere von Richard Strauss’ schwierig zu spielender Oper «Frau ohne Schatten» klar: Der Abschied von Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst, der nach der Saison in gleicher Position an die Wiener Staatsoper geht, wird ein schmerzhafter.

42 Neueinstudierungen hat der Österreicher mit dem Züricher Opernorchester auf die Bühne gebracht, rund 500 Mal stand er hier im Orchestergraben am Dirigentenpult. «Man muss den Klangrausch entfesseln, aber es darf nicht knallen», verspricht er im Programmheft-Interview. Und hält Wort. Dieser Strauss behält auch in den größten Steigerungen ein dunkles Glühen und eine klangfarbliche Intensität, die nie ins Grelle tendiert. Die Schlussakkorde hält Welser-Möst so lange, dass sie zu schweben beginnen, die Streicher spenden einen sonoren, warmen Ton. Auch das schwere und hohe Blech (Trompeten!) ist mehr Farbe als Klang, die Streichersoli sind exquisit. Und da Welser-Möst auch den herausragenden Solisten jeden erdenklichen Raum zur Entfaltung gibt, wird diese «Frau ohne Schatten» zu einem Ereignis.

Regisseur David Pountney erzählt die märchenhaft angelegte Oper in sinnlichen, mit Symbolik aufgeladenen Bildern. Das Thema der Kinderlosigkeit wird schon vor dem Beginn angedeutet, wenn ein wie versteinert aussehender Babykopf auf den Gazevorhang projiziert wird. Immer wieder taucht dieser Kopf bei den vielen Bühnenverwandlungen auf, ehe die Ungeborenen dann selbst in schwarzer und im letzten Akt weißer Kutte auf die Bühne kommen (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca). Die sozialen Unterschiede zwischen dem Kaiser- und dem Färberpaar werden von Bühnenbildner Robert Israel deutlich gezeigt, die Geister- von der Menschenwelt klar getrennt.

Bis auf die Amme (präsent: Birgit Remmert) machen beide Paare eine große Entwicklung durch. Ihr Plan, die Kinderlosigkeit der Kaiserin, die sich im fehlenden Schatten ausdrückt, durch die gekaufte Fruchtbarkeit der Färberin (mit metallener, gelegentlich etwas zu wenig differenzierter Sopranpower: Janice Baird) zu heilen, misslingt. Mehr und mehr wird die vom Geisterkönig Keikobad abstammende Kaiserin (überragend: Emily Magee) zu den Menschen hingezogen, bis sie am Ende, nach vielen bestanden Prüfungen geläutert, auf den Schatten verzichtet und wieder ihren Mann (strahlend: Roberto Saccà) in die Arme schließen kann, was auch den Färber (berührend: Michael Volle) wieder mit seiner Frau zusammenführt.

David Pountney gehen in dieser «Frau ohne Schatten» nie die Ideen aus. Mit einer kleinen Theaterbühne weckt die Amme die Sehnsüchte der Färberin, aus ihrem trostlosen Dasein zu entkommen. Die perfekt getimten Bühnenverwandlungen gelingen spielerisch. Aber Pountney überschwemmt seine Inszenierung nicht mit einer Bilderflut, sondern kommt, unterstützt von der genialen Lichtregie Jürgen Hoffmanns, immer wieder auf bestimmte Leitmotive zurück: die versteinerten Kindergesichter, das Ei als Fruchtbarkeitssymbol, der Falke (Beate Vollack). 


Für das Ende hat sich der Regisseur noch eine letzte kluge Idee aufbewahrt. Zum hochpathetischen Finale, das an den Schlusssatz von Beethovens neunter Symphonie erinnert und die Menschwerdung preist, ist es vorbei mit der Imagination. Die Sänger legen ihren Kostüme ab, der Regisseur gewährt einen Blick hinter die Kulissen dieser zauberhaften Inszenierung. Und die Unterschiede zwischen dem Kaiser und dem Färber, dem Geisterboten und dem Falken und all dem anderen Personal existieren nur noch in der Fantasie.