Das Arbeiterdasein in eine Märchenwelt verwandelt

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (15.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

Ein Strauss-Ereignis der Sonderklasse war die Premiere der Oper «Die Frau ohne Schatten» am Sonntag am Zürcher Opernhaus. Dies vor allem dank des engagierten und klangfarbenreichen Dirigats von Franz Welser-Möst.

Die 13 muss kein Unglück bringen: Auf diese stolze Zahl an Inszenierungen kommt der britische Regisseur David Pountney am Zürcher Opernhaus mittlerweile. Für das von Mozarts «Zauberflöte» inspirierte Gemeinschaftswerk von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss misstraute Pountney allem magisch-märchenhaften Pomp und setzte am Sonntag bei der Premiere der Inszenierung von «Die Frau ohne Schatten» ganz auf die psychologische Feinzeichnung der Figuren. So begegnen uns nicht nur der Färber Barak, seine Frau und ihr soziales Umfeld in zutiefst realistisch-menschlichem Verhaltensmustern, auch das Kaiserpaar und die Amme schildert Pountney mit menschlichen Zügen, leuchtet hinter die Fassaden, erzählt von Motivationen, Intentionen und menschlichen Unzulänglichkeiten, die schliesslich auch die Prüfungssituation für alle, die Keikobad, der Geisterfürst, vollzieht, rechtfertigen.

In der Tradition des alten Österreich

Die Räume der ersten zwei Akte von Robert Israel sind hübsche k.u.k.-Interieurs, die den sozialen Status der jeweiligen Sphären unterstreichen und mithelfen, deutlich zu machen, wie sehr Hofmannsthal und auch Strauss auch 1919 noch nicht wirklich in der Moderne angekommen sind, sondern in den Traditionen und Gefühlswelten des alten Österreich haften. Ganz kann Pountney das esoterische Pathos des Stücks nicht unkommentiert lassen: Immer wieder unterläuft er die hehren Glaubenssätze eines moralisch wohlmeinenden Bürgertums durch Anflüge rabenschwarzen Humors: Statt des Hirschgeweihs hängt gleich der ganze gehäutete Hirsch an der Wand, in den Trümmern des Färberhauses stecken noch die Gliedmassen der Erschlagenen, und dessen Zusammenbruch ist für ihn ein Partygag mit Luftballon- und Papierschnitzelparade, während der grosse Versöhnungsjubel am Ende des Stücks zum kunterbunten Kindergeburtstag mutiert, zu dem Mama, Papa, Freunde und Verwandte, ob Geister oder Menschen, in Jeans und T-Shirt erscheinen.

Ein Kosmos unendlicher Melodien

Nichts gegen die Inszenierung von Pountney. Aber je länger das Stück dauert, desto unwichtiger wird sie, desto mehr wird man - hat man nur ein wenig Flair für diese Welt der spätromantischen Musiksprache - hineingezogen in diesen Kosmos scheinbar unendlicher Melodien und schillernd changierender Klangmischungen. «Die Frau ohne Schatten» lässt den «Rosenkavalier» noch weit hinter sich: Ein Gipfelwerk meisterhaftester Orchestrierungskunst und ein Meisterwerk an interpretatorischer Finesse vom Orchester und vom ehemaligen Zürcher Chefdirigenten Franz Welser-Möst, der sogleich den Draht zu seinen Musikern wiederfand und nahtlos anknüpfen konnte an seine kammermusikalisch wachen, dynamisch kontrastreichen Dirigate der Orchesteropern von Wagner oder Strauss. Zumal in Zürich auch eine Besetzung von ausgesuchter Strauss-Sensibilität sang: Sensationell etwa Michael Volle als Färber Barak, der von Anfang an souverän auf den Strauss-Wellen reiten konnte und der Farbenpracht im Orchester seine eigene Ausdruckskraft und Nuancenreichtum an die Seite stellte, ganz abgesehen davon, dass er hervorragend auch mit dem Text umgehen konnte. Emily Magee als Kaiserin stand ihm nur wenig nach, auch sie konnte ihr Ausdrucksspektrum ausspielen.

Von Janice Baird als Färberin, die mit durchdringenden Tönen das keifende Weib und die wie von Sinnen erregte Frau wahrhaft durchdringend zum Leben erweckte, hätte man sich bei ihrer Wandlung am Ende noch etwas dunklere und wärmere Stimmfarben gewünscht. Birgit Remmert als Amme hingegen sang oft nicht mit der nötigen Durchschlagskraft und stimmlichen Präsenz, während Roberto Saccà den Kaiser ansprechend, mit schönem Timbre und heldentenoralem Format sang und damit eine weitere Strauss-Partie erfolgreich bewältigte.