Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (15.12.2009)
Eine Vorahnung auf die Salle Modulable? Seebühnenspezialist David Pountney gibt sie in der «Frau ohne Schatten». Aber eine Wucht ist der Abend aus anderem Grund.
Als Zentralschweizer kann man sich kaum noch eine Operninszenierung anschauen ohne die Frage im Hinterkopf: Wie würde man das mit den Möglichkeiten einer Salle Modulable machen? Bei der Premiere von Richard Strauss’ «Die Frau ohne Schatten» am Sonntag im Zürcher Opernhaus gab es dafür einen konkreten Anlass, nämlich den Einsatz der Drehbühne im letzten Akt: Da gerät für die Protagonisten einmal mehr die Welt aus den Fugen, wenn sie sich in einem Geisterreich Prüfungen unterziehen müssen. Als Zuschauer dagegen wird man vom rotierenden Trümmerhaufen daran erinnert, wie bühnentechnische Innovationen von einst veralten können und zum Déjà-vu werden. Und im Multimediazeitalter neue Ansätze nötig machen.
Kompliziertes Gemenge
Doch Regisseur David Pountney ist – als Intendant in Bregenz – ein Spezialist für intelligent inszeniertes Spektakel. Tatsächlich ist der Einsatz der Drehbühne bei ihm nicht nur ein etwas altmodischer Gag, sondern Teil eines Regiekonzepts, das quasi verschiedene Theaterformen durchspielt – passend zu einem Werk, das seinerseits zitatartig mit unterschiedlichen Genres spielt.
Denn Strauss und sein kongenialer Librettist Hugo von Hoffmannsthal verstanden «Die Frau ohne Schatten» als modernes Märchenspiel in der Nachfolge der «Zauberflöte». Eine aus dem Geisterreich stammende Kaiserin will sich, um ganz Mensch zu werden und Kinder zu bekommen, einen Schatten beschaffen. Die Zaubertricks ihrer Amme machen die Frau eines Färbers dafür gefügig: Gegen das Versprechen erotischer Abenteuer ist sie bereit, ihren Schatten herzugeben und löst damit einen handfesten Ehekrach mit ihrem gutmütigen Mann aus. Erst der Verzicht der Kaiserin ermöglicht nach rituellen Prüfungen im Geisterakt ein Happy End, das Strauss’ Fin-de-siècle-Musik betörend schön beschwört.
Damit ist das Riesenwerk (Aufführungsdauer mit zwei Pausen: viereinhalb Stunden) ein kompliziertes Gemenge aus Märchenspuk, Sozialdrama und psychoanalytischen Charakterstudien. Pountney schlüsselt es auf, indem er für jeden Akt einen anderen szenischen Ansatz wählt. Im ersten stellt er ganz altmodisch Guckkastenbühnen auf die Bühne, die die sozialen Gegensätze akzentuieren – mit einer Art Sissi-Raum für die Welt des Kaiserpaars und einer Färberwerkstatt, in das eine zusätzliche Bühne in der Bühne die versprochenen erotischen Fantasien wie aus 1001 Nacht hineinzaubert.
Charaktere mit Haut und Haar
Im zweiten Akt gerät die so etablierte Ordnung ins Rutschen, wenn verschiedene Bühnen quasi simultan übereinandergelagert werden. Im dritten Akt dreht sich ein Trümmerhaufen, der aus Versatzstücken der vorangegangenen Bilder gebildet ist. Ein Happy End? Das ist hier nur ausserhalb des Stücks möglich, wenn sich alle Akteure plötzlich in Alltagskleidern versammeln wie zur verfrühten Premierenfeier.
So raffiniert Pountney mit verschiedenen Registern spielt, wozu auch die surreal-archetypische Symbolik der Kostüme gehört: Ein grosser Wurf ergäbe sich daraus alleine nicht, und es ist keine Frage, dass eine Salle Modulable gerade für Regisseure vom Schlag Pountney ideale Voraussetzungen bieten dürfte. Wenn einen jetzt der Abend in Zürich dennoch restlos packt und – im dramatisch zugespitzten zweiten Akt – durchschüttelt, liegt das vor allem an der hervorragenden Ensembleleistung, welche die einzelnen Figuren mit Haut und Haar charakterisiert und voneinander absetzt.
Der warm und sinnlich strömende Bariton des Färbers von Michael Volle prallt brutal ab von Janice Bairds Sopran, der die Kälte der emotional verkümmerten Färbersfrau mit einem Schuss Gift und Galle zu purer Verzweiflung steigert. Emily Magees Kaiserin tritt nach und nach aus dem Schatten der diabolischen Amme (unerbittlich streng: Birgit Remmert) und lässt am Ende ihren Sopran emotional ergreifend aufblühen. Einzig Roberto Sacca bleibt etwas im Klischee des schmelzend strahlenden Tenors stecken.
Multimediale Musik
Eine Wucht ist diese Produktion auch musikalisch – gerade weil Franz Welser-Möst mit dem Orchester der Zürcher Oper nicht nur die explosiven Kräfte einer riesigen Besetzung ausspielt, sondern diese nach allen Seiten auffächert. Gerade die kammermusikalischen Feinheiten der Partitur geben diesem Märchenspiel berührend menschliche, ja intime Züge. Da hat Pountney Recht: Die Musik ist in ihrer Vielschichtigkeit so verschwenderisch farbig, dass man sie quasi multimedial hört und das auf der Bühne optisch gar nicht verdoppeln muss – oder kann. Es sei denn, in einer Salle Modulable?