Entfesselte Klangwogen

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (15.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

«Die Frau ohne Schatten» in Zürich ist eine gelungene Mischung aus grossangelegtem Musiktheater und Überschaubarkeit.

Es ist ein Mysterienspiel von seltener Wucht und wulstigem Schwall: Fr-o-Sch, wie Richard Strauss sein Schmerzenskind «Die Frau ohne Schatten» gerne nannte, kann schnell an seiner gedanklichen Überfrachtung und Unklarheit und an seiner überbordenden musikalischen Grandiosität im Hals stecken bleiben. Die Überfülle des Zauberspuks findet meist ihre Ergänzung in der Entfaltung einer entfesselten Klangintensität und einem gleissenden Bühnenbild. Die von Librettist Hugo von Hofmannsthal intendierte Weiterentwicklung der «Zauberflöte» mit seiner Dreiprobenfrage geht hier insofern am Ziel vorbei, als nicht mehr kammerspielartig schlankes Agieren gefragt ist, denn es ist ein handfestes Musikdrama von episch-breitem Charakter. Für ein räumlich kleines Haus wie Zürich bedeutet das den Spagat, zumal wenn ein optischer Bühnenakrobat wie David Pountney die Inszenierung betreut.

Reale und fiktive Welt

Der englische Regisseur fokussiert seine Deutung aber auf die Suche der vier Hauptfiguren nach ihrem Menschsein; eine Entscheidung, die zu strukturieren erlaubt und damit ein Gegengewicht zur Üppigkeit der Vorlage schafft. Da ist die reale Welt des Färberpaares, eingekesselt in vier graubraune Fabrikwände mit Holztischen und mechanischen Nähmaschinen, dort die zunehmend irritierende Geisterwelt der Kaiserin, die sich an den surrealen Collagen von Max Ernst orientiert. Ein raffinierter Kunstgriff, der zugleich die Bühne konturiert und psychologisierende Vorgänge sichtbar macht. Hier tummeln sich Märchenfiguren wie der Geisterbote auf hohen Stelzen (mit weicher Stimme Reinhard Mayr) oder der an der Wand hangelnde Falke (akrobatisch Beate Vollack). Und in der dreidimensionalen Surreal-Ernst-Welt auf der Drehbühne irren im dritten Akt Barak, sein Weib, die Kaiserin, der Kaiser und die Amme umher. Pountney gelingen auch überraschende Charakterdarstellungen: Barak etwa als unerträglich gütiger Färber, der seine Frau zur (berechtigten) Weissglut und Verzweiflung treibt.

Differenzierte Stimmen

Der Stringenz der Bühne steht Franz Welser-Möst im Orchestergraben in nichts nach. Er kennt das kleine Zürcher Haus bestens, bleibt gewohnt schlank, zupackend und mit entfesselten Klangwogen. Da vermisst man zwar eine pastose Breite, er schafft damit aber eine gute Durchhörbarkeit der Stimmen, die zwischen grosser Heroik und lyrischem Wohlklang schwanken. Michael Volle etwa schliesst in seinem Début als Barak mit weichem Schmelz nahtlos an seine ungewöhnliche Beckmesser-Interpretation an. Auch Roberto Saccà ist ein eher lyrischer denn kraftmeierischer Kaiser, während Birgit Remmert mit warmem Mezzo eine differenziert hintergründige Amme gibt.

Anders die Protagonistinnen, die ihre Monsterpartien grossartig meistern und doch das Fr-o-Sch-Dilemma zeigen: Schlank und kraftvoll Janice Baird als Färberin mit ihrem metallen-scharfen Sopran, etwas breiter und vibratoreicher Emily Magee als Kaiserin. Beide singen ihre hochdramatischen Partien souverän, bei beiden vermisst man die besinnlicheren Zwischentöne, die Strauss aber kaum zulässt. Dafür findet David Pountney einen pathosbrechenden Schluss, der in den Alltag normaler Menschen führt.