Schattenspiel und höhere Weihen

Herbert Büttiker, Der Landbote (15.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

Als ihr «Hauptwerk» sahen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal «Die Frau ohne Schatten», als ein Hauptwerk wird die Neuproduktion in die Annalen des Opernhauses eingehen: als geglückte Riesenanstrengung.

Ein wenig Irritation bleibt. Spricht «Die Frau ohne Schatten» in all der überwältigenden musikalischen und erzählerischen Erfindungskraft, aber auch symbolischen Überladenheit nicht doch mehr von der humanistischen Botschaft, als dass sie sich wirklich vollzieht? Verliert man sich als Hörer nicht zu sehr im schwelgerischen Melos, im Klangrausch der über dreistündigen Musik dieser «letzten romantischen Oper», die während der Kriegsjahre komponiert und 1919 uraufgeführt wurde?

Im Opernhaus mündet der Kraftakt dieses Abends in eine Selbstfeier des Theaters, und diese jedenfalls ist berechtigt und beglückend – in der grossartigen Gesamtleistung, die das Opernhaus mit dieser Inszenierung erbringt, angefangen bei den Werkstätten und bei der Technik, die allen Zauber vollführt, und geendet beim Dirigenten Franz Welser-Möst, der hier seiner Zürcher Zeit noch einmal ein Glanzlicht anhängt, zusammen mit einem fantastischen Sängerensem- ble und einem Orchester, das alle Farben, allen Schmelz und alle (auch lärmende) Dramatik aus dieser Partitur hervorholt. So wie die Inszenierung die Märchenhandlung in einen ruhigen Erzählduktus bringt, so grossräumig und flüssig entwickelt sich unter seiner Leitung das musikalische Geschehen. Er lässt Raum und schafft Stille auch für alle Klangmalereien subtilster Art, und er weiss, wo er das instrumentale Grossaufgebot zu bändigen hat und wo er die Zügel schiessen lassen kann bis zum krachenden Exzess.

Jubeln und Suppe schlürfen

Mit dem Ausruf «Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt» setzt die Musik zum ausgedehnten Finale an, das sich in die höchsten Sphären schraubt. Aber was Strauss zuvor schon kurz vorgemacht hat, tut auch die Inszenierung. Im alles entscheidenden Moment der Selbstüberwindung singt die Kaiserin nicht mehr länger in höchsten Tönen, sondern sie spricht. Auch die Inszenierung baut im Finale ab. Die Drehbühne, die zuvor als Bildermaschine die Figuren auf ihrem Weg zur Selbstfindung begleitet hat, wird angehalten, Kostüme werden ausgezogen, alle setzen sich, jubeln und schlürfen Suppe, die Inspizientin erscheint auf der Szene und gibt Anweisungen, die seitlichen und hinteren Vorhänge werden hochgefahren und geben den Blick frei ins Bühnenhaus, auf technische Einrichtungen und technisches Personal: alles gehört zum Theaterfest.

Der Effekt ist nicht neu, aber schön und gewollt – sanft gegen Strauss/Hofmannsthal. David Pountney und seinem Inszenierungsteam – Robert Israel (Bühnenbild) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme) – wäre ja wohl die Fantasie nicht ausgegangen, hätten sie es darauf angelegt, das Brimborium des Finales zu maximieren. Sie bieten nämlich im Übrigen wie immer einen opulenten und dichten Bilderreigen, erzählen das Märchen als eine ausstattungsreich ins realistische Milieu hineingezogene und ins Surrealistische hinüberkippende Sozialstudie. Es geht um zwei ungleiche, aber am selben Schicksal der Kinderlosigkeit leidenden Paare: oben Kaiser und Kaiserin im grossbürgerlichen Interieur, das sich aber in psychologischer Symbolik bunt verrätselt; unten der Färber und seine Frau in der windigen Scheune, in der Kinder in Serie an Nähmaschinen arbeiten, und wo gelebt und geschlafen wird. Hier spielt sich der Ehekampf ab zwischen dem gutmütigen Barak und der frustrierten jungen Frau mit den geheimen Wünschen nach einem besseren Leben. Spukhaft tauchen hier auch die Kaiserin und die Amme auf, um von der Färberin den Schatten zu erhandeln gegen Lust und Luxus, wie sie ihr auf einem hergezauberten Theater mit Goldportal und Samtvorhang vorgespiegelt werden.

Wenn am Ende des zweiten Aktes das Färberhaus dann im Getöse des Streits zusammenkracht – sie provoziert den Mann mit der Fantasiegeschichte eines Ehebruchs, er holt zum tödlichen Schlag aus – setzt auch die Inszenierung eine Zäsur. Ganz lebensfern, in einer in bizarren Trümmern liegenden Tempellandschaft spielt der dritte Akt, in dem es um Gericht, um Selbstpreisgabe und Erlösung geht. Zwar bietet die sich drehende Bühnenskulptur immerzu neue Ansichten, aber letztlich sind es nur Akzentverschiebungen in einem quasi neutralen Bild, und das bedeutet: Konzentration auf subtiles Spiel und Personenführung, vor allem aber freie Bahn für die Musik und für Seelenarbeit und -lohn, die Gesang da bedeuten will.

Frauenarbeit

Emily Magee als Kaiserin hat daran den Löwenanteil, und wie sie da alle Herausforderungen mit stimmlichem Glanz und zugleich emotionaler Natürlichkeit in alle Steigerungen hinein meistert, ist schlicht unerhört. Dass Roberto Saccà als Kaiser daneben ein wenig blass bleiben muss, hat vorwiegend mit dieser Figur zu tun, die Hofmannsthal und Strauss merkwürdigerweise aus der Läuterungsarbeit des dritten Aktes heraushalten. Nach dem fulminanten Enttäuschungsmonolog im zweiten Akt, ist er im dritten ein Versteinerter – die Arbeit der Menschwerdung ist allein Sache der Frau – wenn sie denn dazu bestimmt wird und nicht, wie im Falle der Amme, als dämonisches Weib von Anfang an ins Reich des Bösen verwiesen ist: Birgit Remmert als Amme gibt der «Hexe» mit trotziger Würde die ungemein starke stimmliche und darstellerische Bühnenpräsenz in Schwarz.

Menschlich und lebensnah gezeichnet ist das Färberpaar. Der gemütvolle Barak erhält mit Michael Volles Bariton allen erdenklichen Balsam, die kratzbürstige Färberin mit Janice Bairds schneidendem, aber in tiefen wie in der hohen Lage markigem Sopran die dramatische Verve. Viele weitere Figuren füllt das Tableau der Lebenswirklichkeit, deren Mittelpunkt sie sind, während das Kaiserpaar von übernatürlichen Wesen umgeben ist. Auf hohen Stelzen kommt der Abgesandte des Geisterfürsten Keikobald auf die Bühne. Das Aufgebot ist gross und auch diese vielen pointierten Einsätze zeigen das enorme Potenzial des Opernhauses.