Welser-Mösts deutliches Adieu

Wilhelm Sinkovicz, Die Presse (15.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

Die Frau ohne Schatten: Die letzte Zürcher Premiere des Dirigenten galt Strauss.

Eineinhalb Jahrzehnte hat Franz Welser-Möst das musikalische Antlitz der Zürcher Oper geprägt. Musikfreunde erlebten den künstlerischen Aufstieg eines Opernorchesters; und die konsequente Repertoirebildung eines Dirigenten, der damit zu einem der führenden Maestri unserer Zeit wurde. Nun hat man mit Richard Strauss' „Frau ohne Schatten“ den Schlusspunkt gesetzt, einem ehrgeizigen Unterfangen, auch wenn die künstlerischen Kräfte eines Hauses durch jahrelange, exzellente Arbeit eine verschworene Gemeinschaft bilden. Was bei der Premiere erklang, trug tatsächlich – nicht nur für Zürcher Verhältnisse – den Stempel des Außerordentlichen. Nicht nur im Hinblick auf die erforderlichen orchestralen, stimmlichen und szenischen Mittel geht die „Frau ohne Schatten“ von der humanistischen Läuterung eines kaiserlichen und eines Handwerker-Paares an Grenzen.

Klangrausch trotz klarer Deklamation

Dichter Hugo von Hofmannsthal selbst wird im Briefwechsel mit Strauss nicht müde, die Wichtigkeit der Textverständlichkeit zu betonen: Will ein Zuschauer das Märchen von der Menschwerdung der Kaiserin, einer Feentochter, die – als Gleichnis für die Mutterschaft – einen Schatten erhandeln möchte, durchschauen, nützt ihm dabei nicht allein die suggestive, farbenprächtige Musik.

In der Zürcher Oper lassen sich die Musiker die Chancen üppiger Klangschwelgerei zwar nicht entgehen, doch regulieren sie, sobald die Sänger durchzudringen haben, die Dynamik einfühlsam nach unten. Auch zu eigenen Gunsten: Derartig viele Nebenstimmen hat man im zügigen musikalischen Erzählfluss nie gehört. Welser-Möst setzt auf höchste Transparenz – und sichert seinem Ensemble auf diese Weise jede Möglichkeit, die Geschichte nachvollziehbar – und alle Stimmen hörbar werden zu lassen.

So genießt der Hörer beides: die oft ins Rauschhafte übersteigerte Sinnlichkeit und den koloristischen Reiz der Strauss'schen Instrumentationskunst und den spannenden Handlungsfluss von Hofmannsthals psychologisierendem Märchen, den David Pountney in den ersten beiden Akten sinnvoll in szenische Aktion auflöst. Erst im dritten Akt, in dem sich Robert Israels Bühnenbild von den Anleihen der Sigmund-Freud-Ära in ein brüchiges Nirvana auflöst, bricht das theatralische Beziehungsgeflecht merklich ein.
 
Regisseur ohne Gespür fürs Übersinnliche

Mit Übersinnlichem kann der Regisseur offenkundig wenig anfangen – auch die Versuche, Hofmannsthals überspannte Nervenkunst mit sozialkritischer Zeitgeistigkeit zu befrachten, haben wenig Stimmiges an sich.

Dafür wird der musikalischen Höchstleistung des Orchesters entsprechend exzellent gesungen: Roberto Sacca ist ein ungewöhnlich lyrischer, dank seiner metallischen Höhen aber stets akustisch präsenter Kaiser. Emily Magee singt seine Kaiserin mit prachtvoll entfaltetem, in allen Registern blühend schönem Sopran. Ihr zur Seite die prägnante, bis in tiefste Tiefen extrem textdeutliche Amme von Birgit Remmert – und ein sensationeller neuer Färber Barak: Michael Volle gibt der Rolle dank vollmundig entwickeltem Bariton alle Menschlichkeit und Wärme, die sie braucht. So berührend hat sie seit Walter Berry niemand mehr gesungen. Ein wenig scharfstimmig nimmt sich daneben Janice Baird als Färbersfrau aus, allein, sie bewältigt die hochdramatischen Anforderungen im Mittelakt mit überzeugender Kraftentfaltung.

Welser-Möst übernimmt einige der erleichternden Kürzungen, die schon Karl Böhm seinen Sängern gestattet hat. Und das Zürcher Publikum jubelt über das musikalische Abschiedsgeschenk.