Surrealismus - und dann Suppe für alle

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (20.12.2009)

Die Frau ohne Schatten, 13.12.2009, Zürich

In Zürich dirigierte Franz Welser-Möst seine vorerst letzte Premiere am Haus, Richard Strauss' "Die Frau ohne Schatten". Für ihn ist das auch ein Werk-Debüt. Der Premieren-Jubel war groß.

Die musikalischen Anforderungen für eine Aufführung der Literaturoper auf Hugo von Hofmannstahls Text mit ihren Anleihen bei Goethe, Freud, Jung und in der deutschen Romantik sind beträchtlich, zumal in einem intimen Haus wie der Zürcher Oper. Momente des Entladens von Kraftpotenzialen eines Riesenorchesters treten neben lyrische Passagen, und das Ganze muss aus einem Guss erklingen. Genau das gelingt den Musikern unter der Leitung ihres langjährigen Generalmusikdirektors. Er hält sein früheres Orchester zu Feinfühligkeit und Transparenz an und sorgt für eine rücksichtsvolle Begleitung der Sänger. Breit aufgefächerter, emotionaler Üppigkeit lässt er in den symphonischen Passagen und in den Zwischenspielen ihren Lauf. Die Zürcher Musiker danken ihm auf ihre Art, denn auf solchem Niveau spielt das Orchester nur unter wenigen Dirigenten.

Auch für einen Großteil der Sänger ist diese Neuinszenierung ein Debüt. Genutzt hat diese Chance vor allem Birgit Remmert, die die harten Anforderungen der teuflischen Amme am Premierenabend (13.12.) nach anfänglichen Textschwierigkeiten mit Bravur bewältigte. Sie ist die Drahtzieherin der psychologischen Studie, in der vier Archetypen nach ihrer persönlichen Bestimmung symbolisiert durch den Verlust des Schattens suchen. Regisseur David Pountney und sein Bühnenbildner Robert Israel konkretisieren das Werk mit seiner märchenhaften Symbolik in der Entstehungszeit am Ende des Ersten Weltkriegs. Der Kaiser wird so zu einem Habsburger Sprössling, die Kaiserin zur Suffragette, die in den Arbeiterhaushalt des Färbers und seiner Frau kommt, um in den Besitz des Schattens der Frau zu gelangen.

Den stimmlichen Glanzpunkt in diesem Quartett setzt Roberto Saccà mit metallisch strahlendem Glanz. Emily Magee als Kaiserin verfügt über einen voluminösen und in den oberen Lagen voll strömenden Sopran, Michael Volle überzeugt als gutmütiger Färber mit der sonoren Autorität seines imposanten Heldenbaritons. Schwieriger ist die Stimme von Janice Baird, die die Färberin zwar mit hochdramatischer Wucht und enormer Textdeutlichkeit aber farbarm singt.

Für die Geisterwelt, der auch die Kaiserin und ihre Amme entstammen, haben sich Pountney und sein Team von Max Ernsts Collagen inspirieren lassen, so dass zum Beispiel Reinhard Mayr als Geisterbote mit seinen schwarzen Flügeln und auf Stelzen für die entsprechende irreale Ambiance sorgt. Interessant ist auch die Idee, die von der Amme herauf beschworenen Träume der Färberin von einer schöneren Welt auf einer Varietébühne spielen zu lassen, in denen die Arbeiterfrau von einem Märchenprinzen aus Tausendundeiner Nacht bezirzt wird.

Pountney bietet viel fürs Auge. Im dritten Aufzug zuviel, wenn die Paare auf der Drehbühne durch das zerstörte Färberhaus irren, die Kaiserin wie in Mozarts Zauberflöte auf die Probe gestellt wird und die Ungeborenen mit Riesenmasken - Claus Guth lässt grüßen - ihr Gewissen plagen. Die Dilemmata, in denen sich die Personen befinden, bieten eigentlich ausreichend Reservoir für den Regisseur, den er auch nutzt. Die Wirkung verpufft jedoch durch zu viel Aktion. Banal ist dann der Schluss, bei dem Pountney das originale Ende ins Jetzt übersetzt. Statt Trennung nach Gesellschaftsschichten entledigen sich alle Darsteller (fast) aller Kostümteile und löffeln gemeinsam die von der Amme servierte Suppe.