Marthaler sorgt in Basel für Lacher und Längen

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (22.12.2009)

La Grande-Duchesse de Gérolstein, 20.12.2009, Basel

Der Titel täuscht: In Basel hatte am Sonntag nicht Offenbachs Operette «La Grande-Duchesse de Gérolstein» Premiere, sondern Christoph Marthaler. Der Schweizer Regisseur hat sein ureigenes Theater und seine Künstlerfamilie mitgebracht.

Den «Wach auf!»-Chor aus Wagners «Meistersingern» kalauert das Klavier gleich zu Beginn, nachdem die ersten musikalischen Töne noch die Putzfrau beim Reinigen der Tastatur verursacht hat. Kostproben von Marthalers Witz gab es aber schon davor: Wiederholung, Schweigen, Stillstand, Langsamkeit und die bange Frage ins Publikum: «Ist ein Regisseur im Saal?» Auch Musik, aber eher selten von Offenbach, stattdessen immer wieder Wagner, selbst das Kammerorchester Basel, ausstaffiert mit Kampfanzügen - da sieht jede Oboe gleich wie ein Gewehr aus - hebt an mit Wagner-Tönen, bis Dirigent Hervé Niquet energisch das Stück einfordert, das auf dem Opernspielplan steht: «La Grande-Duchesse de Gérolstein» von Jacques Offenbach, 1867 komponiert, eine säbelrasselnde Satire auf die Bonzen und Beamten des degenerierten Zweiten Kaiserreichs.

Aber schnell ist wieder Schluss mit Offenbach: Hier ist nicht drin, was drauf steht, hier gibt es keine Operette, Offenbach wird regelrecht degradiert, nicht nur die Texte, die in der heruntergeleierten Lesung idiotisch daher kommen, sondern auch die Musik, die im banalen Tara-Bumm neben Wagner, Bach und Brahms genauso armselig wirkt.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Es gibt viel zu lachen in Marthalers Theater, aber es gibt auch Längen. Nicht immer erschliessen sich Absichten und Aussagen. Aber was bei Marthaler immer funktioniert, ist das Handwerk, die Personenführung, die liebevolle Akribie im Schaffen lächerlicher Figuren, die man in ihrer Ernsthaftigkeit, Beschränktheit und Langsamkeit einfach gern haben muss. Und dann wieder unvermittelt übelste Kalauer, die einfach deswegen umwerfend witzig sind, weil sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommen.

Dass ein Dirigenten-Wibelwind wie Hervé Niquet - gross geworden in der Alte-Musik-Szene Frankreichs - dabei mit- und sich selbst überflüssig macht, denn das Orchester verschwindet nach der Hälfte in den Kriegsdienst, ist noch weniger erstaunlich, als dass mit Anne Sofie von Otter ein Sopran-Weltstar sich auf Marthalers Opernfaxen einlässt. Der mittlerweile unwiderstehliche Ruf des Regisseurs ist dabei nur die eine Seite des Geheimnisses, die andere wohl auch eine sentimentale: In Basel begann der Stern der schwedischen Sopranistin zu strahlen. Und Marthaler schafft es, auch Opernstars dieses Kalibers für sein Theater einzuspannen: Die Diva ging ganz auf in ihrer Rolle als Kristallisationspunkt dieses Operetten-Regimes. Versüsst wurde ihr das Engagement mit Arien-Zückerchen von Händel, Bach und auch ein paar Zeilen «Rosenkavalier», die sie mit Grandezza bewältigte.

Die Marthaler-Familie

Daneben hatten alle anderen einen schweren Stand: Nicht nur das Orchester verschwand im Krieg, auch die Akte zwei und drei waren dem zurückgebliebenen Hofstaat kaum einen Takt mehr wert. Zu singen gab es ausser der Endlos-Schleife aus dem Brahms-Requiem nicht mehr viel. Bloss Norman Reinhardt erhielt Gelegenheit, seinen schönen lyrischen Tenor zu zeigen. Ansonsten war neben den Ensembles des Theaters natürlich die Marthaler-Familie anzutreffen: die Bühnenbildnerin Anna Viebrock mit einer Art Kongresszentrum und angegliedertem Waffenladen für die Bühne, die Multifunktionäre Ueli Jäggi, Jürg Kienberger oder Christoph Homberger als General Boum vorweihnachtlich: «Vom Himmel hoch, da kommt mein Heer».

Mit «The Unanswered Question» und «20th Century Blues» hat Christoph Marthaler dem Theater Basel vor zehn Jahren internationale Beachtung beschert. Die ist seinem neusten Stück mit Sicherheit auch garantiert.