Zu schwer für den leichten Rossini

Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (29.12.2009)

Il Barbiere di Siviglia, 27.12.2009, Zürich

Am Opernhaus Zürich war am Sonntag Premiere von Rossinis «Barbiere di Siviglia» unter Maestro Nello Santi. Das Bühnenbild schuf Architekt Mario Botta, Serena Malfi gab ihr Debüt als Rosina.

«Für Nello Santi liegt das Charakteristische am Rossini-Gesang in dessen Natürlichkeit.» So steht es im «Opernhaus-Magazin». Und genau hier, bei der Natürlichkeit, liegt die Problematik dieser Neuinszenierung von Cesare Lievi. Rossini hat nicht nur die «Accelerandi» und die «Crescendi» genau auskomponiert und auf die Szenerie hin geschrieben, auch die Komik ist von einer raffinierten Stimmigkeit.

Cesare Lievi geht diese Geschichte um den Alten, der sich in sein hübsches Mündel verliebt und es heiraten will, recht einseitig an. Die Absurdität wird betont, der Graf Almaviva und Rosina wollen nur die sexuelle Eroberung, und alles spielt sich in einem kühlen, ästhetisch gestylten Bühnenraum ab. Um so stärker kommen die Kostüme von Marina Luxardo zur Geltung: hier die verstaubte Welt um Bartolo, Basilio, Berta und Ambrogio, die in vergammelten, ja moosigen Gewändern auftreten, da die Welt um Almaviva und Rosina, die in knallig bunten Pop-Art-Kostümen eine eigenartige Modernität demonstrieren.

Doch das passt so gar nicht zu Rossinis «komischer Oper» par excellence. Das Mündel Rosina ist von Anfang an ein sexy Party-Girl, dem man die Isolation, das Eingesperrt-Sein, nicht abnimmt. Serena Malfi, die erstmals die Rosina singt, bietet sich so kaum eine Möglichkeit, sich charakterlich zu wandeln. So hübsch sie ist, Not hat sie keine, und sie wird von Lievi einseitig erotisch zur Schau gestellt. Sängerisch bringt Malfi eine weich timbrierte Mezzosopranstimme mit, die sie jedoch weit hinten ansetzt und farblich zu gleichförmig gestaltet. Dies mag mit dieser Regie zusammenhängen, die vor allem ihr rhythmisches Temperament und ihre stimmliche Agilität herausfordert.

Mario Bottas Bühnenraum

Auch der wuchtige, technisch hochraffinierte Bühnenbau von Mario Botta passt nicht zu Rossinis Humor. Botta entwarf vier freistehende graue Würfelsäulen mit je zwei schiefwinkligen Kuben, die man gegeneinander verdrehen kann. Die Oberflächen sind verschieden: eine mit roten, blauen oder weissen Lichtpunkten stimmungsvoll wandelbare Seite, eine die Bühne reflektierende Spiegelfläche und eine matte graue Fläche, auf die man Videobilder beamen kann. Die schiefen Würfel können gedreht werden, was schnelle abstrakte Szenenwechsel ermöglicht. Doch ihre Wucht und ihre kühl gestylte Ästhetik nehmen der Geschichte den italienischen Charme und heiteren Schmiss.

Um so dankbarer war man Nello Santi und den schauspielerisch wie sängerisch hervorragenden Protagonisten. Santi kennt Rossinis «Barbiere» wie kein Zweiter, und er führt das Orchester und die Sänger mit Stringenz und Ökonomie durch alle Tumulte, Arien und Ensembles, als wäre dieses technisch und rhythmisch sehr heikle Stück ein Kinderspiel. Das Opernorchester brillierte mit Verve und wunderbaren Bläserkantilenen. Alles kam frisch und munter daher, und die Sänger wurden getragen.

Prädikat hervorragend

Eine wunderbare Tenorstimme brachte Javier Camarena als Graf Almaviva mit: Er sang mit Schmelz und inniger Hingabe, sein Parlando war natürlich, und sein Verlangen trieb ihn auch stimmlich zu köstlichen Exaltiertheiten. Massimo Cavalletti wusste als Figaro mit grossem Organ aufzutrumpfen, was zu Beginn etwas gar demonstrativ wirkte. Er entspannte sich dann aber spürbar und verlieh dem schlitzohrigen Vermittler einen sympathischen, stimmlich vielschichtigen Charakter.

Herrlich auch Carlos Chausson als Bartolo, der virtuos und überzeugend zwischen Wahrheit und Intrige schwankt. Gut dazu passte die schwere dunkle Bassstimme Ruggero Raimondis, der einen zum Lachen komischen, schwerfälligen «Musiklehrer» abgab. In den Nebenrollen fiel neben Davide Fersini als Fiorello, George Humphrey als Ambrosio und Mauro Ebbri als Notar vor allem Rebeca Olvera als Berta auf. Sie wusste in ihren wenigen Auftritten mit hellem, ausdrucksstarkem Sopran und komödiantischem Spürsinn an die Herzen zu rühren. Das Publikum gab ihr das auch mit warmem Applaus zu verstehen. Die Freude an den Solisten und an der Musik wurde mit entsprechender Begeisterung gefeiert, doch Cesare Lievi und Mario Botta bekamen heftigen Protest zu spüren.