Kühle Mechanik, beherzte Musik

Herbert Büttiker, Der Landbote (29.12.2009)

Il Barbiere di Siviglia, 27.12.2009, Zürich

Die mobile Architektur, die sich Mario Botta für sein erstes Opernbühnenbild ausgedacht hat, gibt dem neuen «Barbiere di Siviglia» im Opernhaus ein modernes Design. Der neue Rossini im besten Sinn ist aber der alte – und der kommende.

Carlos Chausson, der als Bartolo mit tausend Facetten des Keifens, Schmollens und Wichtigtuns klangstark die Bühne beherrscht, und Gianni Raimondi, der als Basilio mit pechfarbenem Bass und dämonischen Zügen die steife graue Eminenz neben dem wendig aufgeblasenen Wicht verkörpert, gehören mit ihren Rollen inzwischen zum komödiantischen Urgestein des Opernhauses, und wenn Basilio in seiner Arie das Gerücht zum Platzen bringt wie den Donner einer Kanone, wenn Bartolo in seiner Arie unermüdlich darüber doziert, was so ein Dottore alles drauf hat, so sind Rossinis musikalischer Witz, Figur und Bühnenleben wie in der letzten Inszenierung vor acht Jahren auch in der neuen wieder auf grandiose Weise eins.

Wenn aber schon diese Erzkomödianten zum Urgestein gehören, wie soll man erst Nello Santi geologisch verorten, der schon in der Spielzeit 1960/61 seinen ersten Zürcher «Barbiere» dirigierte und jetzt die vierte Neuin-szenierung des Werks betreut? Unter und über dem Urgestein, möchte man sagen, wenn die Geologie das Bild hergeben soll – und weit weg von aller Versteinerung. Da klingt alles so lebendig beherrscht, in der rhythmischen Grossform der Crescendi wie im Mikrokosmos wohlklingend beseelter Bläser-Figuren, im flirrenden Klang der Streicher wie im packenden Zugriff, dass man glaubt, in der Tiefe das Magma pulsieren zu hören und an der Oberfläche alle Bewegtheit einer bunte Landschaft zu vernehmen. Und dann ist Santi auch ganz bei seinem Ensemble, dessen sängerische Lebendigkeit er anstachelt und dem er ein dynamisch weites Spektrum erlaubt, gelöst in der Balance und, von wenigen Ausnahmen («Calunnia»-Arie) abgesehen, in selbstverständlicher Kommunikation mit dem Orchester.

Die Rossini-Feier

Mit Spontaneität verblüffte Santi auch beim Schlussapplaus. Als ob er nicht zum Leitungsteam gehört hätte, stellte er sich unvermittelt zum Ensemble und liess sich zwischen den jungen Protagonisten feiern, die an diesem Abend Belcanto-Gegenwart und -Zukunft verkörperten. Der Mexikaner Javier Camarena, der sich im Opernhaus schon mit etlichen Rossini-Partien glänzend hervorgetan hat, zeigte jetzt, dass er der Almaviva ist, fantastisch in der Geschmeidigkeit, der sicheren Höhe und der gewachsenen Fülle seines Tenors, dazu ungemein lebendig als Darsteller. Mit dem Schwung seiner Cavatine und der Zartheit der Canzone machte er gleich die Eröffnungsszene zum Hauptakt einer Rossini-Feier. In diese hinein prasselte auch sein junger italienischer Kollege Massimo Cavaletti mit dem baritonalen Feuerwerk von Figaros «Largo al factotum». Als Figur tritt er fast ein wenig zurück vor dem Sänger, der den Effekt des grossen Tons sucht – und auch findet: Diese Stimme sitzt, markig und glänzend in der Höhe, wobei mit grösserer Nonchalance die pointierte Komödiantik noch stärker hervortreten könnte.

Beide, Camarena wie Cavaletti, verfügen über Rollenerfahrung, wohingegen Serena Malfi, die dritte im Bund der jungen Protagonisten, als Rosina debütierte, mit dem Plus eines schönen Mezzosoprans und einer attraktiven Erscheinung, aber auch etwas eindimensional in der Stimme, die sich an der Premiere auch nicht allen Höhenklippen der Partie restlos gewachsen zeigte. Vor allem aber ist sie in dieser Inszenierung auf ein reichlich aufgesetztes, nicht eben sympathisches Modelklischee festgelegt.

Liebreiz und Gefühlswärme, die Rossinis Musik dem Liebespaar ja durchaus gönnt («Caro a te mi raccomando ...»), blendet Cesare Lievis Regie aus, alle Figuren des Stücks werden auf ihre Weise auf einen schrägen bis schrillen Egotrip geschickt. Was Bartolo und auch Figaro ja durchaus auch ariensingend an Selbstinszenierung leisten, ist bei den Jungen die Sache des Plastik-Kostüms: hochhackig erotisch aufgepeppt erscheint Rosina, mal grell grün-violett, mal gescheckt, mal ganz in Gold verpuppt Almaviva.

Selbstbespiegelung

Das kühle Ambiente und die Spiegel dazu liefert Mario Botta mit vier doppelten Quadern einer Bühnenarchitektur, die im Übrigen mit dem «Barbiere» so viel zu tun hat wie mit jeder anderen Oper. Oder so wenig: denn über das Thema Selbstbespiegelung (auch des Theaters selbst) hinaus scheint die Absprache im Regieteam nicht hinausgegangen zu sein. Wie aus einer anderen Inszenierung kommend stehen Bartolo und die Hausangestellten (darunter mit tadellosem Arienintermezzo Rebeca Olvera) in ihren Schmuddel-Klamotten in der Designerwelt des Botta-Mobiliars. Zu Hause fühlen kann sich da nur gerade und ausgerechnet die gefangene Rosina, die sich auf dem Schreibtisch herumchauffieren lässt – ja, es drehen und fahren die Kuben, das Sofa und eben auch der Schreibtisch, die Technik darf wieder ihrem Hobby des Fernsteuerns frönen. Lieber hätte man mehr innere Impulse erlebt – im Gegentakt zum Klamauk, mit dem die Inszenierung für Kurzweil und Lacher sorgt. Für wirklich gute Stimmung, für Einstimmung ins Gute, die das Komödiefinale eigentlich meint, reichte eben dies gerade nicht.