Türme für Figaro, Buhs für Botta

Tobias Gerosa, Mittelland-Zeitung (29.12.2009)

Il Barbiere di Siviglia, 27.12.2009, Zürich

Rossinis Hit «Il Barbiere di Siviglia» prunkt im Opernhaus Zürich mit Mario Botta als Bühnenbildner, bleibt sonst aber auf der gewohnt funktionierenden Komödienschiene.

Warum setzt man eine neue Inszenierung eines Stützpfeilers der Repertoirs auf den Spielplan? Für Gioacchino Rossinis «Barbiere di Siviglia» stand im Opernhaus Zürich eine spielplandramaturgische Idee im Zentrum: Im Herbst 2007 zeigte man Giovanni Paisiellos «Barbiere» und kündigte an, mit demselben Bühnenbild, demselben Regisseur und derselben Besetzung zur direkten Gegenüberstellung auch Rossinis 34 Jahre später entstandene, heute aber deutlich berühmtere Version des Beaumarchais-Stoffs herauszubringen. Davon sind jetzt nur der Regisseur und zwei Darsteller übrig geblieben. Aber – und das ist vielleicht entscheidend – die Komödie um den komischen alten Vormund, der sein junges Mündel an den schönen, jungen und reichen Grafen verliert, funktioniert.

Wie seit Jahrzehnten dirigiert Nello Santi den «Barbiere». Die Tempi sind diesmal ungewohnt langsam, das Gewitter wirkt plötzlich eher klassizistisch als fulminant. Auch wenn im Finale I und im Quartett neu ein Glockenspiel zu hören ist: Santi bleibt sich und der Tradition treu. Und auch gewissen Sängern. Mit Ruggiero Raimondi als Basilio und Carlos Chausson als Bartolo stehen zwei Rollenveteranen auf der Bühne. Ihre Figuren sind, Verdienst der Regie, böser als meist und vokal zeigen Raimondi und Chausson, wie man mit Rossinis Silbenfülle umgeht, ohne dabei die stimmliche Linie zu verlieren.

Daneben haben es die Jüngeren schwer. Serena Malfi singt zum ersten Mal eine grosse Hauptrolle und man merkt ihrer Rosina die Unsicherheit noch an. Sie wird in den weiteren Vorstellungen wohl noch Persönlichkeit gewinnen, ob Massimo Cavalletti seinem Figaro ausser Dauerforte auch noch ein paar Farben und Natürlichkeit abgewinnen kann, ist da fraglicher.

Am besten schlägt sich Javier Camarena als verliebter Graf Almaviva. Er punktet mit strahlendem hohem C, noch mehr aber mit geschmackvollen Verzierungen. Als Figur allerdings bleibt er wie Malfi und Cavalletti eher bemüht – trotz farbenprächtigen und lackglänzenden Kostümen von Marina Luxardo.

Die Tradition der Commedia dell’Arte ist hier wie in der oft sehr zurückhaltenden, aber in der Personenführung etwa mit Figaros Geld-Fixierung ein paar klare Akzente setzenden Regie von Cesare Lievi unübersehbar. Setzt sich Mario Bottas Bühne, der wohl die Buhs beim Schlussapplaus galten, davon ab? Den Balkon im ersten Bild hängt er wie einen Vogelkäfig so hoch, dass nur die Füsse der Darsteller sichtbar sind. Dann dominieren vier Türme vor farbigem Hintergrund die sonst leere Bühne: je zwei schiefe, lämpchenbesetzte Würfel, die gelegentlich etwas verschoben werden, sich aber hauptsächlich verdrehen. Die optischen Effekte sind schön, auch dank der Lichtregie (Jürgen Hoffmann).

Die Bühne bietet eine ästhetische Spielfläche, deren Stil aber kaum aufgenommen wird und die letztlich wenig stückspezifisch ist. Das ist kein Vorwurf an Mario Botta, aber nur ein schwaches Argument für einen sonst eher braven neuen «Barbiere».