Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (29.12.2009)
Eine Buffo-Komödie mit Plastik-Chic: Zur kühlen Ironie auf Mario Bottas Bühne steuert die Musik in Rossinis «Barbiere» warmes und pralles Leben bei.
Ein Designer hätte die stromlinienförmig geschwungenen Frauenbeine nicht verführerischer entwerfen können, die im ersten Akt, wie aus einem Hochglanzprospekt herauskopiert, über die Wände flimmern. Entsprechend hoch ist der Preis dafür, wie der Geldregen in der Projektion auf der anderen Bühnenseite zeigt. Schon der Auftakt zu Rossinis «Barbiere di Sevilla», in dem zwei ungleiche Männer um die eine Frau rivalisieren, gibt damit die Losung aus für die Neuinszenierung des Werks im Opernhaus Zürich: Designer-Chic in ironischer Brechung, wie man es vom italienischen Regisseur Cesare Lievi in Zürich so oder ähnlich gewohnt ist.
Schlichte Bühne
An der Premiere vom Sonntag weckte das beim Publikum, neben warmem Applaus für die Sänger und das Orchester unter Nello Santi, nur einen müden Buhsturm fürs Regieteam. Überraschender war, dass daran auch das Bühnenbild nichts änderte. Dieses nämlich stammte von Stararchitekt Mario Botta (Programmheft). Und dass er, der mit archaisch-kargen Steinbauten in Tessiner Felshängen weltberühmt geworden ist, die Bühne für eine turbulente Opernkomödie entwerfen sollte, war eine spannende Ausgangslage.
Die erste Opernbühne, die Botta nach Arbeiten fürs Ballett gestaltet hat, ist so schlicht, wie man es von ihm erwartet. Beidseits der Bühne stehen je zwei verschiebbare, turmartige Gebilde, jedes ist aus zwei schiefen, übereinander getürmten Kuben zusammengesetzt, die eigenständig um die eigene Achse drehen. Er habe damit versucht, so Botta, «den Geist einer Stadt wie Zürich einzufangen», deren Rationalität sich in einer gewissen «Härte und Kargheit», aber auch in der konkreten Kunst eines Max Bill widerspiegle.
Das Spiel mit den Kuben ergibt reizvolle Effekte, weil das Drehen in Schieflage die Raumkoordinaten durcheinanderbringt und spiegelglatte Flächen für zusätzliche kaleidoskopische Wirkungen sorgen. Allerdings nutzen sich diese frühzeitig ab. Was bleibt, ist eine etwas vage Metapher für eine aus den Fugen geratene Welt. Als solche nämlich versteht Lievi die Buffa-Komik in Rossinis Werk. Denn selbst Figaro hat die Intrigen nicht im Griff, die den Grafen Almaviva und die von ihrem Vormund Bartolo unter Verschluss gehaltene und umworbene Rosina zusammenführt.
Starkes Ensemble
Die Komik, die sich aus den überraschenden Wendungen ergibt, ist für Lievi Ausdruck der Absurdität der Welt. Züge des Grotesken geben ihr in Zürich vor allem die Kostüme von Marino Luxardo. Sie stilisieren das Liebespaar mit Plastik-Chic zu Kunstfiguren, was sogar Rosinas Sex-Appeal erkalten lässt. Bartolo und seine tölpelhaften Helfer dagegen wirken wie Gnome aus der Welt von «Herr der Ringe». Nur Figaro bewegt sich dazwischen mit dem unbändigen Temperament eines Naturburschen.
Die Stärke der Neuproduktion liegt darin, wie plastisch solche zugespitzten Charakterisierungen von einem Ensemble umgesetzt werden, das bis in die Nebenrollen (Ruggiero Raimondi als Basilio) stark besetzt ist. Der umwerfende Figaro von Massimo Cavalletti verströmt auch vokal vibrierende Vitalität. Javier Camarena erfüllt das Klischee des bis zur Hilflosigkeit aufgeregten Liebhabers mit tenoralem Schmelz. Carlos Chausson gibt dem alten Lüstling Bartolo garstig-schwarze Farben.
Drecksarbeit machen die Männer
Die schillerndste Figur aber ist die Rosina: kein hilfsbedürftiges Mädchen, sondern eine selbstbewusste moderne Frau, die weiss, dass sie nur ein bisschen nacktes Bein zeigen muss, um die Männer nach ihrem Willen tanzen zu lassen. Auch vokal mischt Serena Malfi ihren Koloraturen laszive Erotik bei und macht die Rosina zur unberührbaren Hauptfigur des Abends. Die Drecksarbeit jedenfalls lässt sie demonstrativ die anderen machen – die Männer.
Selbst in den Slapstick-Szenen, für die Figaros Arbeitskoffer als eine Art Zauberkiste dient, bleibt die Inszenierung aber gekünstelt und flau. Umso vitaler klingt die Musik aus dem Orchestergraben. Nello Santi setzt hier mit dem Orchester des Opernhauses nicht nur auf zündende Rhythmen und italienisches Brio, sondern lässt immer wieder unglaublich innig und beseelt musizieren. Einmal mehr also eine Produktion am Opernhaus, die wegen der Musik, aber nicht wegen der Szenen den Weg nach Zürich lohnt.