Aida im Reich der Tiffanys

Herbert Büttiker, Der Landbote (30.05.2006)

Aida, 28.05.2006, Zürich

Eindrückliche Stimme, kompaktes Musizieren und eine Inszenierung, die den schönen Bilderbogen abseits der alt ägyptischen Formeln sucht, aber nicht mehr: Die neue «Aida» im Opernhaus Zürich lässt szenisch Wünsche offen.

«Aida» ist immer auch eine Verführung zum Dekorativen. Die Faszination des alten Ägypten gehörte zwar wesentlich zur Inspiration dieser Oper, betraf aber nicht den dramatischen Kern. Dieser hat viel mehr mit Verdis Sicht auf die Gegenwart und mit unmittelbaren Zeiterfahrungen zu tun, mit dem Deutsch-Französischen Krieg, dem Erstarken des deutschen Militarismus etwa. Von daher gesehen ist die monumentale Präsenz der Staatsmacht in der «Aida», sind kultische Rituale und Siegesparaden, die sich der Breitleinwand-Inszenierung anbieten, wiederum viel mehr als blosse Dekoration.

Im Opernhaus Zürich haben Nicolas Joel (Regie), Ezio Frigerio (Bühnenbild) und Franca Squarciapino (Kostüme) «Aida» aus dem alten ins Ägypten um 1870 verlegt und damit in die Entstehungszeit der Oper: Damenkostüme der Belle Epoque, die Eisen- und Glasarchitektur der Gründerzeit, ein Kriegsschiff mit schwerem Geschütz, bunte Uniformen des kolonialen Militärs, der Union Jack im Orient, das Tiffany-Glasdach und hinter dem Pavillon der Palmenhain und das Blau des ägyptischen Nachthimmels. Das alles ist schön gemacht und im Ansatz richtig, treffend als das gemischte Kolorit des Imperialen und Exotischen der Verdi-Zeit. Und da die Tempel- zur Museumsszene mutiert, ist mit dem kolossalen archäologischen Fundstück wenigstens als Zitat auch das Pharaonenreich mit im Spiel.

Hang zum Dekorativen

Nichts fehlt somit, um «Aida» als eine Oper über Verdis aktuellen Konfliktstoff zu entfalten, aber dann geschieht auf der Bühne nichts, was den realistischen Anspruch einlöst, und alles bleibt Ausstattung: Aida findet auf der Flucht ein wunderschönes Kostüm und das Grab, in dem sie mit Radames stirbt, ist eine schwarze Pyramide, die im Museum steht, aber wohl eher ein Designer- als ein antikes Fundstück ist. Kurz: Der Hang zum Dekorativen erhält Oberhand, und die neoägyptische Ausstattung erscheint einfach als die falsche.

Statt einer neuen Sicht stellt sich der Eindruck ein, die konventionelle Ausstattung hätte der Klärung des Geschehens besser gedient. Denn da zeigen sich jetzt Verlegenheiten (das Zeremoniell der Weiheszene, die Tänze), Protagonisten fallen ins Altägyptische zurück (der Kniefall der Sklavin Aida) oder spielen unpassend monumental. Amneris fuchtelt mit einem Fächer, was der Glaubwürdigkeit der mit imponierendem Furioso, aber auch etlichen Drückern agierenden Luciana D'Intino in den beiden ersten Akten schadet. Vielleicht würde auch Radames an Ausstrahlung gewinnen, wenn er sich in hieratischem Prunk statt im Outfit der Operettenpolitik bewegen würde. Denn Salvatore Licitra, der im Legato vielleicht nicht mit sehr viel Fundament aufwartet, besitzt genügend Schmelz und in starken Momenten (Finale 3. Akt) die Strahlkraft, für die Partie dieses unglücklichen Helden.

Darstellerisch allerdings lockt die Regie den ein wenig ungelenken Tenor kaum aus der Reserve, ebenso wenig Matti Salminen als Oberpriester und Günther Groissböck als König, beide harmlose Staatsmänner mit Fes und grossen Stimmen, deren Macht und Herrscherwillen nicht über die Grösse der Kopfbedeckung hinauszugehen scheint.

Alles geklärt

Bis in alle Fasern die Figur, in der Einheit von Spiel und Gesang, Emotion und Musik, sticht die Schwedin Nina Stemme im Ensemble heraus. Die Inszenierung zeigt diese Aida schon zum Vorspiel allein auf der Bühne, und die Sängerin gibt dann mit jedem Ton ihrer Verlorenheit, aber auch Klarheit in sich selbst beredten Ausdruck, nicht nur in den beiden Arien, die sie gesanglich auch in den heikelsten Momenten (der Aufstieg zum c in der Soloszene im Nil-Akt) wunderbar meistert, sondern auch dramatisch dezidiert in den Duetten. Im Ton und als Figur richtig: Das gilt auch für Amonasro. Mit angerautem, aber griffig akzentuierendem Bariton gestaltet Juan Pons packend diese Kämpfer- und Vaterfigur. Wo Vater und Tochter aufeinander treffen im dritten Akt erhält die Aufführung denn auch ihren wuchtigsten dramatischen Schub.

Irritation

Wach, beweglich, nuancenreich in Tempo und Dynamik: das Orchester der Oper unter der Leitung von Adam Fischer ist mit auf der Höhe der szenischen Aktion. Der straffe Zug, der diese «Aida» in Spannung hält, geht nicht auf Kosten des Lyrischen, eher ist es – das mag auch eine Frage der Sitzplatz-Akustik sein – durch hochgetriebene Dynamik gefährdet. Die Chöre behaupten sich aber mit sattem Klang, während die Bühnenmusik manchmal durchaus präsenter wirken könnte. Insgesamt aber zeigt das Opernhaus ein musikalisches Niveau, zu dem sich das Publikum, wie der Applaus am Ende zeigte, eine szenisch profiliertere Auseinandersetzung wünschte.