Die Wahrheit der Puppen

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (12.01.2010)

Dido and Aeneas, 10.01.2010, Bern

Henry Purcells Oper «Dido and Aeneas» am Stadttheater Bern

Kurz nach Ablauf des Purcell-Jahres 2009 liefert das Theater Bern den längst überfälligen Beitrag nach: die Oper «Dido and Aeneas» in einer überraschenden Fassung für sieben Akteure.

Die Meinungen der Fachwelt darüber, in welcher Form wohl die Oper «Dido and Aeneas» von Henry Purcell ums Jahr 1683 und danach aufgeführt wurde, gehen weit auseinander. Dementsprechend gibt es von dem wegen seiner musikalischen Schönheiten seit je beliebten Musiktheaterwerk zahlreiche Fassungen. Das Berner Stadttheater hat jetzt eine Version hinzugefügt, die nicht den Anspruch einer historischen Rekonstruktion erhebt und dennoch gerade aus theaterhistorischer Perspektive fasziniert.

Das Drama um die Karthagerkönigin Dido und den Trojanerprinzen Aeneas, die zueinander kommen und doch nicht beieinander bleiben dürfen, wird als Puppenspiel erzählt. Die sechs Sängerinnen und Sänger – mehr braucht es nicht, auch nicht für die Chorszenen – führen während des Singens Handpuppen. Jeweils zwei Spieler bilden zusammen eine Figur, deren Mund sich öffnet und schliesst und deren übergrosse Hände zu sprechenden Gesten fähig sind. Das ist rührend anzusehen.

versöhnt. Wir erleben die zaghafte Annäherung von Dido und Aeneas sowie die Interventionen von drei Zauberern, denen dieses Liebesglück zuwider ist. Werden Zeugen, wie Dido Aeneas verstösst, vor Kummer stirbt und begraben wird. Am Ende wird einer der Zauberer ihr eine weisse Nelke ins Grab legen – so viel Versöhnung muss dann doch sein.

Aber wir glauben nicht, dass das Geschehen auf der Bühne wirklich sei, wie wir es in einer psychologisierenden Aufführung glaubten, denn wir sehen ja, dass die singenden Personen die Puppen führen und dass alles nur gespielt ist. Manchmal ist ein Schritt zurück – hinter das Illusionstheater – eben auch einer nach vorn. So war es bei Brecht und seinem epischen Theater mit dem vielzitierten Verfremdungseffekt, und so ist es in dieser wunderbaren kleinen Produktion des Puppenspielers Neville Tranter am Berner Theater. Einer Produktion, die nicht mit grossen Opernemotionen und Kollektiven aufwartet, sondern mit sechs gut harmonierenden Gesangssolisten, an der Spitze Susanne Rydén als (intonatorisch nicht immer ganz glückliche) Dido und Georg Poplutz als nicht allzu heldenhafter Aeneas.

verkleinert. Ebenfalls auf die Kraft der Reduktion setzt die musikalische Begleitung durch die «Freitagsakademie» unter ihrem Leiter Jörg-Andreas Bötticher, der sonst vor allem als Kirchenmusiker an der Basler Predigerkirche bekannt ist. Die elf Instrumentalisten mit Bötticher am Cembalo spielen einen von den ersten Tönen des Prologs an packenden Purcell und greifen bei Bedarf auch mal singend ins Geschehen ein. Auch darin weicht die Berner Produktion erfrischend von der Oper im bekannten Stil ab.