Tiefe Klage, böses Gelächter

Hanspeter Renggli, Der Bund (12.01.2010)

Dido and Aeneas, 10.01.2010, Bern

Bewegtes Spiel der ironischen Brechungen: Das Stadttheater Bern zeigt Henry Purcells Barockoper «Dido and Aeneas» mit Neville Tranters kraftvollen Puppen in Koproduktion mit der Freitagsakademie.

Die Kopfpuppen des bekannten australischen Puppenspielers Neville Tranter sind ausdrucksstarke Persönlichkeiten. Reduziert auf einen Kopf und ein beschwörend langes Händepaar, erscheint am Berner Stadttheater Dido als afrikanische Schönheit mit leuchtend blauen Augen, während Aeneas mit orange funkelnden Augen und Knollennase den Fremdling markiert. Auch beim Intrigantentrio der drei gnomenhaften Hexen bewirkt die ironische Überzeichnung der Puppen eine bemerkenswerte Körperlichkeit und Präsenz, die die musikalische Bewegung hier unterstreicht, dort konterkariert.

Variantenreichtum

Henri Purcells einzige durchgängig gesungene Bühnenhandlung, die vermutlich zu Beginn der 1680er-Jahre entstandene Oper «Dido and Aeneas», stellt in mehrfacher Hinsicht eine gelungene Stückwahl dar. Die unglückliche Leidenschaft der karthagischen Königin Dido zu Äneas, dessen göttliche Bestimmung es ist, nach langer Irrfahrt die Stadt Rom zu gründen, und ein verderblicher Zauber missgünstiger Hexen gegen diese Verbindung versammeln auf knappstem Raum emotionales Pathos und tänzerische Bewegung, tiefe Klage und böses Gelächter.

Zudem kommen die kleine Rollenzahl und die typisierte Darstellung der Figuren den Möglichkeiten des Puppenspiels entgegen. Innerhalb einer Stunde schreitet das Werk schnell durch die abwechslungsreich gestaltete Folge der fast vierzig meist kurzen, im Charakter überaus vielfältigen musikalischen Nummern.

Die Berner Freitagsakademie in der Besetzung von Streichquintett resp. -sextett, zwei Bläsern und zwei Theorben unter der musikalischen Leitung des Cembalisten Jörg-Andreas Bötticher differenzierte überaus angeregt die ständig wechselnden, oft kontrastierenden Abschnitte, verlieh den melodischen Formeln mit feinsten Verzierungen eine weite Palette an Farben und Bewegungstypen. Zwar traten gegen Ende einige Intonationsprobleme auf. Doch bleibt etwa in den Grounds, also in den Stücken mit ostinaten Bassthemen wie Didos Eingangssong «Ah Belinda» oder ihrem Schlusslamento «When I Am Laid in Earth», die variantenreiche und sichtlich spielfreudige Umsetzung in Erinnerung.

Koordinationsartistik

Die eigentliche Herausforderung für das sechsköpfige Sängerensemble lag in der Koordination von Gesang, kleinräumigem Spiel und gleichzeitigem Puppenspiel. Dadurch wurde die Ausdrucksvermittlung des Textes des Librettisten, des englischen Schriftstellers und Dichters Nahum Tate, im Gewand von Purcells Musik vervielfacht. Dass die Bewegung der Puppen im Gleichschritt des musikalischen Pulses blieb, hatte nicht selten eine karikierende Wirkung, die im Publikum erheitert aufgenommen wurde.

Nur nebenbei ist festzustellen, dass Neville Tranter mit diesen Manierismen auch gleichzeitig eine barocke Bühnenästhetik zitierte. Tranter setzt als Regisseur in seiner Inszenierung auf ebenso schlichte wie überraschend wirkungsvolle Bewegung und Gestik, in der die Musik eine verblüffende Körperlichkeit erhält.

Wechselnde Konstellationen in der Personenführung, die Varianten in der Gewichtung der Sänger- oder der Puppengestik und die auflockernde Ironie etwa mit dem Spiel einer Katzenpuppe zeigen die Aktionen in einem elementar theatralen Sinn auf mehreren Ebenen. Dabei bilden die Konstellation der Sänger sowie die Präsenz der Puppen, aber nicht zuletzt auch das mehrfach ins Spiel eingreifende Instrumentalensemble zugleich ein stimmungsvolles Bild. Die Produktion, die ausschliesslich vor dem eisernen Vorhang auf der Vorderbühne des Stadttheaters spielt, verzichtet auf jegliche Kulissen und vertraut auf das Stimmungsensemble aus Musik, Figuren und Gestik.

Sängerische Expressivität

Henry Purcell (1659–1695) arbeitet in seinen Gesangslinien mit wortgezeugten, rezitativischen Abschnitten und melodischen Formeln. Leben und Ausdruck erhalten sie erst durch die sängerische Gestaltung. Susanne Rydén als Dido füllte den klagenden Ton mit expressiven Mitteln. Ulrike Hofbauer als Didos Schwester Belinda schuf in ihrer lyrisch-spielerischen Partie weite Bögen. Anne Schmid pflegte als Hexe einen starken Kontrast, kämpfte aber auch etwas mit den Tücken der tiefen Lage.

Die Männerrollen (Georg Poplutz als Aeneas, René Perler als Geist und Jakob Pilgram als Seemann) traten dagegen etwas in den Hintergrund der drei Frauenstimmen. Es bleibt indessen fraglich, wie weit diese Ungleichgewichtung der Figuren in der nur in Exemplaren aus dem späten 18. Jahrhundert erhaltenen Fassung dem Original entspricht. Animiert gestaltete das Ensemble hingegen die vielen kleinen Chorsätze, ohnehin eine besondere Qualität des Anthem- und Oden-Komponisten Henry Purcell.

Die mit nachhaltigem Beifall verdankte Premiere brachte nach Friedrich Händels «Acis und Galatea» (2007) den unbestrittenen Erfolg dieser zweiten Produktion (Idee und Realisation: Katharina Suske) der Freitagsakademie gemeinsam mit Tranters Puppen unüberhörbar zum Ausdruck.