Oliver Meier, Berner Zeitung (12.01.2010)
Grosse Oper im Kleinformat: Die Freitagsakademie und der australische Puppenmeister Neville Tranter zaubern Henry Purcells «Dido und Aeneas» als rührendes Klappmaulpuppen-Musiktheater auf die Stadttheaterbühne.
Königin Dido ist verzweifelt. Klagend hebt sie ihre Riesenhände in den Himmel, öffnet ihr Klappmaul zum Gesang, begleitet vom düsteren Lamento der Instrumente. Sie hat in Aeneas ihre Liebe gefunden und wieder verloren, endgültig, wie es nun scheint. Etwas Wahnhaftes liegt in ihren Augen, die im Scheinwerferlicht aufblitzen. «Denk an mich! Doch, ach! Vergiss mein Schicksal», singt sie. Und: «Der Tod ist nun ein willkommener Gast.» Dido ist ein Wesen aus Werg und Kunststoff – zwei Hände, ein Kopf mit schwarzer Mähne. Doch man leidet mit ihr. Weil sie in der Fantasie längst zu etwas anderem geworden ist.
Einnehmende Spielfreude
Neville Tranter, der Puppenbeseeler, und die Berner Freitagsakademie beugen sich über die Barockoper «Dido und Aeneas» von Henry Purcell. Sie tun es mit einnehmender Spiellust, ungekünstelt, mit feiner Ironie. Und man staunt, wie da mit schlichten Mitteln etwas Einzigartiges entsteht auf der Vorbühne des Stadttheaters: links das zehnköpfige Instrumentalensemble, rechts die Sängerschauspieler in Schwarz, dazu Neville Tranter und die Puppen, die er eigens für die Produktion hergestellt hat. Da ist Dido, die karthagische Königin (Susanne Rydén). Da ist Aeneas, der rotäugige Prinz mit seinen Segelohren (Georg Poplutz). Und da sind die drei verschwörerischen Hexen – eine hässlicher als die andere, angeführt von Sorceress (Anne Schmid), vereint im Bestreben, das junge Liebesglück zu zerstören.
Jede Puppe besteht aus drei Einzelteilen, wird gemeinsam belebt vom stoischen Puppenmeister und den jeweiligen Sängern, die das Libretto mit ausdrucksstarker Mimik ausdeuten. Das Zusammenspiel schafft aus drei Körpern eine Gestalt, eine Projektionsfläche im Klangkosmos von Purcells Oper. Bald riecht Aeneas an der weissen Rose, überreicht sie seiner Angebeteten. Bald tanzen die Hexen («Ho ho ho ho»), bald kommt der Geist der Zauberin (René Perler), bald besingen betrunkene Seeleute, angeführt von Jakob Pilgram, im Chor den Aufbruch des trojanischen Prinzen.
Eingängige Barockmusik
Den Rest erzählt Purcells eingängige Barockmusik. Blitz und Donner malt sie ebenso aus wie die Seelengewitter der Figuren. Die Freitagsakademie mit ihren alten Instrumenten (Leitung: Jörg-Andreas Bötticher) arbeitet das heraus – weniger schroff und kantig als in manchen Einspielungen, aber stets differenziert, mit Sinn für die rhetorischen Qualitäten der Musik. Und auch die sechs Sänger überzeugen, allen voran die Sopranistin Ulrike Hofbauer, die in der Rolle von Didos Vertrauter Belinda glänzt.
Fauler Langschwanzkater
Manches wird karikiert, manches gebrochen. Und spätestens dann, wenn Didos fauler Langschwanzkater mal wieder in den Mittelpunkt rückt, gibts was zu schmunzeln. Neville Tranter hat ihn in die Inszenierung eingebaut, als Symbol für den (angeblich) dekadenten Lebensstil der Königin. Allein, die Deutung erscheint ebenso wenig zwingend wie andere Zusätze und Interpretationen, mit denen Tranter aufwartet. «Dido und Aeneas» wirkt auch so – als rührende Geschichte zweier Menschen, die irgendwie aneinander vorbeigeliebt haben und vielleicht auch ohne Eingriff von Hexen und Geistern nicht recht glücklich miteinander geworden wären. Wie lehrt doch das Libretto von Nahum Tate? «Grosse Seelen verschwören sich gegen sich selbst und lehnen den Trost ab, den sie am meisten begehren.»
Am Ende liegt Dido liebestot auf der Bühne, eingehüllt in ein blaues Tuch. Eine weisse Rose liegt darauf. Nicht Aeneas hat sie hingelegt (der ist längst über alle Meere, um ein neues Troja zu gründen), und auch die Amoretten mit ihren hängenden Flügeln waren es nicht. Es war die kleine Gelbhaarhexe mit dem funkelnden Goldzahn, die heimlich in Dido verliebt ist.