Vom Karmel aufs Schafott

Oliver Meier, Berner Zeitung (25.10.2010)

Les Dialogues des Carmélites, 23.01.2010, Bern

Süffige Musik, fragwürdige Inszenierung: Regisseur Bernd Mottl treibt der Religionsoper «Dialogues des Carmélites» von Francis Poulenc im Berner Stadttheater den existenziellen Ernst aus. Am Ende bleibt vor allem Ratlosigkeit.

Es könnte eine eindringliche Schlussszene sein – schrecklich und schön zugleich: Stolz stehen die Nonnen auf der Bühne, singen das «Salve Regina», bereit, für ihren Glauben zu sterben. Himmlisch hell klingen die Streicher, umso dunkler die Bässe, die stampfend den Rhythmus der Revolution ausmalen, während das unsichtbare Fallbeil – raaaatsch! – in beklemmender Regelmässigkeit niedersaust und die Musik zerreisst.

Allein, die Wirkung verpufft in dieser Inszenierung, die dem Halbernst verpflichtet scheint und auch den Märtyrertod szenisch unterläuft: Die Ordensfrauen sterben nicht, sie ziehen bloss die Schuhe aus und entledigen sich mit demonstrativer Erleichterung ihrer Rolle, beäugt von der schaulustigen Menge – eine pelzbemäntelte Schickeria, die wirkt, als ob sie von St.Moritz ins Stadttheater verfrachtet worden wäre.

Religion und Revolution

«Dialogues des Carmélites» von Francis Poulenc (1899–1963) ist ein Werk von düsterem Ernst, angesiedelt in den Jahren der Französischen Revolution, als sechzehn Schwestern des Karmeliterinnenordens von Compiègne in Paris hingerichtet wurden. Religion und Revolution – das riecht nach äusserer Dramatik. Poulenc indes interessiert sich für die psychologisch-existenziellen Aspekte des Stoffs. Es geht um den religiösen Glauben als Mittel gegen die Angst – vor dem Leben und vor dem Tod, dargestellt am Schicksal von Blanche (Rachel Harnisch), einer jungen Adligen, die nach Ausbruch der Revolution von Ängsten geplagt ins Kloster eintritt. In Gesprächen mit der sterbenden Priorin (Ursula Füri-Bernhard), der Mitnovizin Soeur Constance (Hélène Le Corre) und später mit Mère Marie (Claude Eichenberger) wächst zwar ihr Glaube. Doch die Todesfurcht bleibt. Erst als ihre Mitschwestern auf dem Schafott stehen, findet Blanche die Kraft, ihnen zu folgen.

Poulencs Oper, 1957 uraufgeführt, lebt von der süffigen Musik, die das Geschehen in bittersüsse Melancholie taucht und mit lakonischen Miniaturen untermalt. Das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Srboljub Dinic zeigt viel Sinn für die Nuancen der Partitur, auch wenn der Klang mitunter etwas massig wirkt. Auch die Solisten überzeugen weitgehend, allen voran Rachel Harnisch mit ihrem strahlenden Sopran, ihrem Flair für den französischen Vokalstil. Und auch ästhetisch hat die Inszenierung etwas zu bieten: Die Bühne von Alain Rappaport verlegt das «Kloster» stimmig ins Gebirge Karmel, wo die Nonnen in Höhlenräumen hausen.

Dass die Produktion trotzdem zum Ärgernis wird, liegt an Regisseur Bernd Mottl, der mit den Grundthemen der Vorlage offenbar nur wenig anzufangen weiss.

Blanche im Minirock

Zu vieles wird da gebrochen, übertrieben, ins Komödiantische gedreht, ohne dass je so richtig klar wird, was Mottl damit bezweckt: Weshalb erscheint Blanche zu Beginn als Teenie im pinkfarbenen Minirock, mit aufgesetzten Kopfhörern? Wieso hebt die tote Priorin im Sarg plötzlich ihre Hand? Und was sollen die Rüpel mit den leuchtgelben Mützen, die die Nonnen aus dem Kloster vertreiben? Aufständische dürften das kaum sein in einer Inszenierung, die von der Französischen Revolution nichts wissen will. Man fühlt sich an die «Rigoletto»-Produktion vor zwei Jahren erinnert: Wie damals erscheint die Distanzierung von Stoff und Werk als zweifelhaftes Programm. Und wie damals wird das Regieteam bei der Premiere teils mit markigen Buhrufen bedacht.