Einer Oper geht der Atem aus

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (25.01.2010)

Les Dialogues des Carmélites, 23.01.2010, Bern

Das Stadttheater Bern wagt sich an Francis Poulencs Oper «Dialogues des Carmélites» von 1957. Aus der harmlosen Aufführung ragt Rachel Harnisch hervor.

In der italienischen Opernprovinz geniesst man das Verditrunken in einer samtbezogenen Loge: Ein herausragender Sänger – oft ein alternder Bariton oder ein hoffnungsvoller Tenor – soll einer Opernproduktion Glanz verleihen. Singt dann dieser «Star» seine Töne mit dreifacher Kraft wie das Restensemble, ist ihm und der ganzen Produktion derJubel sicher. Ähnliches geschieht nun am Stadttheater Bern – doch kurioserweise leidet die Produktion darunter.

Francis Poulencs 1957 uraufgeführte Oper «Dialo-gues des Carmélites» ist eine Ensembleoper: Da gibt es mindestens acht wichtige Rollen. Ja, eigentlich ist jedes Frauenchormitglied eine Stütze, keines erhält aber zu viel Gewicht. Aber wenn nun wie in Bern zu hören eine Sängerin völlig anders ist, da mögen die anderen noch so gut harmonieren: Sie fallen zu sehr ab.

Ob die wackere Ursula Füri-Bernhard (de Croissy), die bemühte Claude Eichenberger (Marie), die zarte Fabienne Jost (Lidoine), der quirlige Fabrice Dalis (Chevalier) – alle zelebrieren sie einen Gesang, der krampfhaft von einem Ton zum nächsten reicht: Jede Note scheint Kraft und Anstrengung zu evozieren. Jeder Effekt ist schon auf halbem Weg erahnbar – diese Art des Singens kennt keine Überraschung, da jeder die Schablone rasch durchschaut.

Der Gesang der Walliser Sopranistin Rachel Harnisch (Blanche) hingegen ist nicht aus einzelnen Tönen gebaut, sondern aus Worten und Sätzen, denen Poulenc eine passende, klangvolle Linie geschenkt hat. Hier wird jede Phrase zu einer Aussage, da die Sängerin durch und durch versteht, was sie singt – weiss, was sie ausdrücken will. Ihre «Unsicherheiten» sind bezaubernd: Wenn in schwindelnder Höhe ein Ton angesungen und zum Schweben gebracht wird, ist längst noch nicht ganz klar, obs ein süsser Freudenlaut oder ein bitterer Klageton wird – ob Glück lacht oder Unglück droht. Grosse Gesangskunst sucht diese Schwierigkeit, wandelt auf diesem schmalen Grat, tut so, als sei er ein breiter Wall.

Mag sein, dass der Regisseur Bernd Mottl auch etwas wagen wollte. Er schwanktjedenfalls lange zwischen einem tumben Realismus samt Nachttopf und Bostiche und einem fetten Symbolismus. Es gelingt ihn nicht, die Handlung unter einen grossen Bogen zu bringen. Die Lebensgeschichte von Blanche, die Halt in einer Klostergemeinschaft sucht, wird zur losen Abfolge von Bildern. Und die Äusserlichkeiten sind ohne Zauber: sowohl die Kostüme als auch der das Kloster symbolisierende, der Bühne den Atem raubende Berg. Erzählt die Musik mit ihrer flirrenden, ja schwebenden Dramatik nicht ganz anderes? Bei Stadttheater-Chefdirigent Srboljub Dinic nicht. Der Zugang ist gar kräftig und er schafft es diesmal nicht, das Orchester zu einer Sonderleistung zu animieren.

Und so blieb von einer vom Publikum mit Jubel und Buhs aufgenommenen Vorstellung vor allem eine Sängerin in Erinnerung. Wegen Harnisch und Poulencs grossartigem Werk lohnt sich allerdings der Gang ans Berner Stadttheater allemal.