Bravo- und Buhrufe an der Berner Oper: Beides zu Recht

Marianne Mühlemann, Tages-Anzeiger (26.01.2010)

Les Dialogues des Carmélites, 23.01.2010, Bern

Zwiespältige Inszenierung, herausragende Sänger: Francis Poulencs Oper «Les Dialogues des Carmélites».

Nach knapp drei Stunden saust das Fallbeil das erste Mal nieder. Taktgenau hat Francis Poulenc die Stelle in der Partitur notiert. Einmal, zweimal, sechzehn Mal fällt die Guillotine. Das dumpfe Geräusch vermag den immer dünner werdenden «Salve regina»-Gesang der Karmelitinnen nicht zu erschüttern. Sie singen wie in Trance weiter, während eine nach der andern hingerichtet wird. Und dann beginnt der Horizont lautlos zu brennen, und die Hymnen der Revolution kommen immer näher, bis der Vorhang fällt.

Francis Poulencs raffiniert instrumentierte Partitur zu «Les Dialogues des Carmélites», Anfang der 1950er-Jahre komponiert, ist ein Requiem voller impressionistischer Schönheit, in der das Aufeinandertreffen von Religion und Französischer Revolution nur den äusseren Rahmen abgibt. Historischer Hintergrund ist das Massaker von 1794 an Ordensschwestern, die sich der Säkularisierung nicht beugen wollten. Das eigentliche Thema, das die Oper zeitlos aktuell macht, ist eine diffuse Welt- und Daseinsangst. Fokussiert wird die Angst in der vielschichtigen Figur der Blanche (die Walliser Ausnahmesängerin Rachel Harnisch), die in ihrer inneren Not hofft, im Kloster Ruhe zu finden. Hier trifft sie auf die lebenslustige Constance (Hélène Le Corre mit glockenhellem Sopran), mit der sie ihre Todesangst und schliesslich auch den Tod teilt.

Der Chor und der Extrachor des Stadttheaters Bern sowie die zahlreichen Solisten geben der spärlichen Handlung Relief und Charakter. Das Berner Symphonieorchester (Dirigent Srboljub Dinic) gestaltet das zwischen geistlichem Mysterium und grosser Oper oszillierende Werk mit lebhaften Kontrasten und impulsgebenden Rhythmen. Von den sonoren Tiefen der Bassregister bis ins gleissende Flimmern der Bläser öffnet sich der dynamische Klangraum.

Monströs aufdringlich

Der grandiosen Musik stand eine bizarre Inszenierung gegenüber (Bernd Mottl). Das Schluss-Tableau sabotiert in seiner forcierten Originalität die Spiritualität der Handlung. Die geköpften Schwestern bücken sich, ziehen die Schuhe aus, öffnen sich die Haare und stellen sich zu den Gaffenden. Diese sehen wie Karikaturen von Bauarbeitern aus. Das Bühnenbild (Alain Rappaport) ist von monströser Aufdringlichkeit. Ein drehbarer violetter Berg, unappetitlich wulstig mit Treppen und Höhlen, als handle es sich um einen Aussichtsberg in eine aus den Fugen geratene Welt. Nichts scheint zwingend - ausser der Musik. Das Berner Publikum zeigte sich mündig. Für die Musik gab es Bravos, für das Bühnenbild und die Inszenierung heftige Buhs. Beides zu Recht.