Verdi kompakt

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (01.02.2010)

Alzira, 30.01.2010, St. Gallen

In Giuseppe Verdis Inka-Oper Alzira geht es leidenschaftlich zur Sache. Sänger und Regie ernteten Beifallsstürme.

«Kein Mensch auf Erden liebt Dich so wie ich»: Aus dem Munde eines jungen, kampfeslustigen spanischen Gouverneurs tönt das kein bisschen zärtlich-anschmiegsam, sondern wie blanker Hohn. Umso mehr, als Giuseppe Verdis Oper «Alzira» aus dem Jahr 1845, die «grosse», in Wirklichkeit extrem komprimierte Unbekannte unter einer Vielzahl von Repertoire-Dauerbrennern, für psychologische Entwicklungen und allmähliche Gesinnungswandel keine Zeit verplempert. Der erste von drei Akten braucht weniger als zehn Minuten, das ganze Melodrama knapp anderthalb Stunden. Das bedeutet eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen den Fronten. Gusmano freilich tut sich dabei mit glaubwürdiger Passion und christlicher Liebe nicht gerade auffällig hervor.

Buchstäblich gewaltig ist seine Leidenschaft zu Alzira, Tochter des Inkahäuptlings Ataliba und mit ihm in Gefangenschaft der Spanier. Um jeden Preis muss Gusmano diese Frau besitzen; es scheint mehr eine idée fixe, eine entschlossene Eroberungsgeste denn wahre Liebe zu sein. Mit allen Mitteln versucht er seinen peruanischen Rivalen Zamoro auszuschalten: Er foltert ihn, verurteilt ihn zum Tod auf dem Scheiterhaufen, fordert ihn, von herannahenden Inkatruppen bedrängt, auf dem Schlachtfeld heraus, erpresst später Alziras Hand mit dem erneuten Todesurteil.

Bis ihn Zamoro zu guter Letzt am Traualtar niedersticht: ein höchst zwiespältiges Ende mit «glücklicher» Wendung, denn wie um noch ein letztes Mal über die primitiven Eingeborenen und ihren Rachekult aufzutrumpfen, verzeiht der sterbende Gusmano seinem Widersacher und Meuchelmörder. Da blitzt der Kampf der Kulturen, den Regisseur Denis Krief aus der Vorlage Voltaires stark in den Hintergrund verbannt hat, doch noch einmal auf; man könnte es glatt übersehen, denn die Musik greift in einer letzten massiven Attacke an die Herzen. Beschämt und etwas ratlos blicken die Inkas im rührseligen Finale auf den scheinbar so grosszügigen Feind, den plötzlich so edlen Christenmenschen, den Luca Grassi bis dahin mit leicht metallischer Schärfe und martialischer Durchsetzungskraft so unzweideutig egoistisch auf die Bühne gestellt hat.

Melodram für Eilige

Es ist ein Verdi für Eilige, den St. Gallens Operndirektor Peter Heilker als zweite Ausgrabung und Schweizer Erstaufführung nach Giovanni Simone Mayrs Belcanto-Rarität «Medea in Corinto» auf den Spielplan gesetzt hat – ein Stück, das in seinen schnellen Schnitten, seinen harten Kontrasten und atemlosen Liebeskämpfen am Rande eines Kriegsschauplatzes womöglich den Zeitgeist und heutige Sehgewohnheiten exakter trifft als mancher ausladende Opernklassiker. Schlag auf Schlag geht es in «Alzira» zwischen Eroberern und Eingeborenen, zwischen Spaniern und Peruanern hin und her. Es empfiehlt sich dabei, das Programmheft mit dem Inhalt getrost beiseite zu legen, denn viel verwirrender erscheint dort, was Regisseur Denis Krief in beeindruckender, zuweilen fast ein wenig distanziert wirkender Klarheit aus Musik und Text in Bühnenhandlung transponiert.

Seine Inszenierung ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine durchdachte Reduktion der visuellen Mittel die beste Lesehilfe für ein Drama sind, das sich vor allem in der Musik abspielt, und nicht in zusätzlich an sie herangetragenen Ideen und Konflikten. Bühnenbauten, Kostüme und Requisiten, Licht und Choreographie stellen sich bei Krief in den Dienst einer zum menschlichen Drama zugespitzten Handlung, in der die Väter (Tijl Faveyts und Andrzej Hutnik) eine fatale Rolle spielen.

Kopfzerbrechen unnötig

Kriefs Konzept erspart unnötiges Kopfzerbrechen – allenfalls über die Pudelfrisuren der Chordamen liesse sich grübeln –, und fokussiert ganz auf die Subtilitäten einer wenig bekannten, dabei reizvoll instrumentierten und an Effekten reichen Partitur, die das Sinfonieorchester St. Gallen unter der Leitung von Henrik Nánási mit reichlich Verdi-Erfahrung zum Blühen bringt. Von den ersten Takten der Ouverture an ist das Ohr in Verdis Welt zu Hause und staunt doch regelmässig über die Dichte der musikalischen Einfälle, die das Geschehen so konzentriert vorantreiben.

Mächtigstes Bühnensymbol sind neben der stilisierten Inka-Pyramide in ihren suggestiven Variationen – mal als wuchtiger, platzgreifender Koloss in der Mitte, mal als kerkerartiges Holzgerüst, in dem Alzira unruhig schläft – die Steine vor der Rampe. Oft genug werden sie an diesem kurzen Opernabend gepackt und drohend in Richtung Publikum gerichtet; wenn nötig auch in Wiederholungsschleifen. Selten attackiert Kriegsmusik aus dem Graben so handfest, rückt den Zuhörern im Parkett so dicht auf den Leib; auch akustisch gewinnt die Oper durch den selbstbewusst agierenden Chor an Zudringlichkeit. Umso blasser und konventioneller setzt Krief die Liebesduette zwischen Alzira und Zamoro um.

Helden der Stimmbänder

Stimmlich stehen die irische Sopranistin Majella Cullagh und ihr aus Mexiko stammender Partner Hector Sandoval stellvertretend für die emotionale Wucht und die empfindsamen Finessen der musikalischen Umsetzung, auch in den Nebenpartien. Was das Premierenpublikum umso mehr überwältigte, als Majella Cullagh sich vorweg mit einer Bronchitis für allfällige Schwächen entschuldigen liess. Kaum etwas war davon zu hören; höchstens der entrückte Einstieg, liegend zu singen, gelang nicht perfekt. Szenisch dagegen geht die Leidenschaft ebenso oft wie die kriegerische Attacke in Richtung Rampe, lässt die Regie Alzira und Zamoro zuweilen wie ein altes Ehepaar wirken. Womit sie sich, Verdis dramaturgischem Presto sei Dank, nie lange aufhalten kann.