Hosenrolle und Rockpartie

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (02.02.2010)

Le Nozze di Figaro, 31.01.2010, Luzern

Eine etwas besondere «Figaro»-Premiere am Luzerner Theater

Theater ist am spannendsten, wenn der Direktor vor den Vorhang tritt und eine Besetzungsänderung meldet. Wie es am Sonntag in Luzern der Fall war.

Zwei Männer liegen nach intensiver Liebesnacht unter der Bettdecke, der eine von ihnen in Frauenkleidern. Auf dem Spielplan aber steht Mozarts «Figaro», und diese Oper beginnt doch bekanntlich mit der Kammerzofe Susanna und dem Kammerdiener Figaro. Haben wir es wieder einmal mit einer hässlichen Ausgeburt des modernen Regietheaters zu tun?

Nein, sondern mit einer Konstellation, wie nur das lebendige Theater sie bietet. Die Darstellerin der Susanna am Luzerner Theater ist am Premierentag heftig erkrankt. Als Ersatz für sie wird quasi in letzter Minute eine Sängerin für die Arien und eine für die Rezitative gefunden. Vilislava Gospodinova und Madelaine Wibom stehen den Abend seitlich neben dem Orchester mehr als nur passabel durch – aber wer zum Teufel soll die Susanna in dieser brandneuen ambitionierten Produktion spielen?

barfuss. Die Luzerner Lösung heisst: der Regisseur. David Hermann, vor bald drei Jahren Inszenator von Arthur Honeggers «Jeanne d’Arc» am Theater Basel, tänzelt und trippelt einen langen Opernabend lang barfuss und mit Langhaarperücke über die von Christof Hetzer gestaltete Bühne und erhält für seinen Sondereinsatz heftigen Szenenapplaus. Ein Hauch von Shakespeare-Theater, das ursprünglich ja auch nur von Männern gespielt wurde.

Aber dass der gross gewachsene Regisseur ein plausibles Susanna-Kätzchen und dass Graf Almaviva glaubwürdig in diesen Zwitter verliebt sei, kann und darf man nicht erwarten. Hübsch ist die biografische Pointe, dass Hermann privat mit der Sängerin Olga Privalova liiert ist, und die singt in der Luzerner Produktion den jungen liebestollen Cherubino – Hosenrolle trifft da auf Rockpartie.

David Hermann ist als Regisseur ein virtuoser Könner, der Video, Phalluspuppen, Masken, Trashkostüme und eine hyperrealistische Personenführung unter seinen «Figaro»-Hut bringt. Gekoppelt mit einem aus verschiebbaren Wänden gezimmerten beweglichen Bühnenbild, das mithilft, den Abend kurzweilig werden zu lassen.

bewährend. Aber es entsteht kein schlüssiges Bild von der jungen Gräfin, vom sportiven Grafen, vom heiratswilligen Figaro und von Susanna. Zu vage ist die einer Luxus-Nervenklinik angenäherte Situation, die Hermann für «Le Nozze di Figaro» erfindet, zu zusammenhanglos sind seine Inszenierungs- und Kostümideen. Immerhin gibt es originelle Details wie die «Farfallone»-Arie des Figaro, die dieser nicht nur an Cherubino, sondern auch an den abenteuerlustigen Grafen und die flatterhafte Susanna richtet.

Luzerns Theater ist ein Bewährungsfeld junger Sängerinnen und Sänger. Hier sind das in erster Linie die Sopranistin Katharina Persicke als nobel, hell und ebenmässig singende Gräfin Almaviva, Tobias Hächler in der verlässlich, aber noch etwas zurückhaltend bewältigten Partie des Grafen Almaviva sowie Marc-Olivier Oetterli mit sauber angelegtem, punkto Dynamik sicher noch entwicklungsfähigem Figaro-Bariton.

Im Graben spielt das Luzerner Sinfonieorchester, das von Florian Pestell auf schlanken, beweglichen Mozartton eingeschworen wurde. Das Premierendirigat lag in den Händen von Howard Arman, der die Ensembles trotz der Umstände störungsfrei bewältigte. Abgesehen vom stimmschwachen Chor eine Produktion, die sich musikalisch hören lassen kann – mit einem Schuss Absurdität, wie ihn fast nur die Oper bietet.