Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (02.02.2010)
Eine dreifache Susanna, eine verkünstelte Regie, herausragende Sänger und ein waches Orchester: Mozarts «Figaro» in Luzern hatte am Sonntag bei der Premiere einige Überraschungen zu bieten.
So ist Theater: Kurzfristig, innerhalb nur eines Tages, musste für die erkrankte Simone Stock, welche die Susanna hätte singen sollen, ein Ersatz gesucht werden. Fündig wurde das Luzerner Theater in Bern bei Vilislava Gospodinova, die dort schon vorletzte Saison in dieser Partie auf der Bühne gestanden hatte. Aber sie war eine in den Rezitativen so andere Fassung gewohnt, dass man mit Madelaine Wibom eine weitere Sopranistin ins Theater holte. Wibom sang Susannas Rezitative, Gospodinova ihre Arien, und auf der Bühne - in seiner szenisch komplexen Inszenierung - mimte der Regisseur David Hermann gleich selber die Figur. Das Resultat: nicht nur eine dreifache Susanna, sondern auch eine doppelte Travestie: Eine Frau, die mit Cherubino einen Mann, und ein Mann, der eine Frau spielt.
Szenisch überambitioniert
Das Konstrukt funktionierte gar nicht übel. Hermann ist zwar kein brillanter Schauspieler, aber nach ein paar Momenten der witzigen Irritation nahm man ihm und seinen beiden Sängerinnen die Figur der Susanna durchaus ab, weit besser jedenfalls als die Inszenierung. Denn darin verirrte sich Hermann gründlich in den Ambitionen, die Geschichte, die doch so wunderbar funktioniert, ganz anders erzählen zu wollen. Die so wichtigen Versteck- und Verkleidungsszenen schilderte er bloss am Rand, oder liess sie ganz weg. Immer wieder richteten sich zentrale Sätze an die falsche Person - aus Willkür oder weil der Adressat gerade durch eine der vielen Türen verschwunden war, ohne dass sich daraus ein Sinn ergeben hätte.
Christof Hetzers vielfältig faltbares Bühnenbild erlaubt auf fast schon geniale Weise immer wieder wechselnde Räume, aber Hermann versteckte seine Figuren mitunter so sehr darin, dass sie zur Nebensache hätten werden können, wenn sie nicht so präsent gesungen hätten. Lieber beschäftigte sich Hermann mit Video-Spielereien, Spiegelfechtereien, Licht- und Schattenspielen oder Kasperli-Theater. Das war zwar nie langweilig, aber kaum je lustig, kaum je optisch in irgendeiner Weise ansprechend, und kaum je sinnvoll. Richtig gut gelang Hermann erst die Verwechslungsszene im nächtlichen Garten des vierten Akts.
Musikalisch hervorragend
Dafür verdiente sich die musikalische Umsetzung hohe Meriten: Unter der Leitung des britischen Dirigenten Howard Arman spielte das Luzerner Sinfonieorchester transparent, wach, agil und mit einer Leichtigkeit und Souveränität der Artikulation, die deutlich den Originalklang-Ensembles abgehört war und sich vor diesen auch nicht zu verstecken braucht. Das Sängerensemble genügte ebenfalls höchsten Ansprüchen: Herausragend war insbesondere Tobias Hächler mit seinem ausdrucksvollen, stimmlich vielseitigen und wenn nötig auch ganz schön kräftigen Bariton als ein Graf Almaviva mit Herz und Charisma, welchem man den Verführer ebenso mühelos abnimmt wie die boshafte Freude an seinen perfiden Intrigen. Nicht minder bravourös sang Katharina Persicke mit überaus sicheren und mühelos gespannten Linien die Gräfin und auch Marc-Olivier Oetterli machte als Figaro eine sehr gute Figur.
Gospodinova und Wibom liessen neben ein paar verständlichen Pannen je länger je mehr die ungünstigen Umstände vergessen, unter denen sie diese Susanna sangen, Olga Prilova als Cherubino fiel ebenso wenig ab wie Caroline Vitale als Marcellina oder Boris Petronje als Bartolo, und selbst Regula Mühlemann machte ihre kleine Barbarina-Arie zu einem musikalisch gelungenen Moment.