Ein «verrückter Tag» wird zum Tag der Verrückten

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (02.02.2010)

Le Nozze di Figaro, 31.01.2010, Luzern

Die Aufführung von W. A. Mozarts «Le nozze di Figaro» am Luzerner Theater zeigt, wie nahe Erfolg und Miss- erfolg beieinanderliegen. Die Regie überrascht mit kühnen Ideen, bringt das Spiel aber nicht unter einen Hut.

Bei Vorhangfall – immerhin noch Sekunden vor dem Ende und nicht erst beim Studieren des Programmhefts – fällt es einem wie Schuppen von den Augen:«La folle journée» («Der verrückte Tag»), wie die Theatervorlage zu Mozarts Oper «Le nozze di Figaro» heisst, wird am Luzerner Theater zum «Tag der Verrückten»! Und mit dieser Erkenntnis fallen alle unseren liebevollen Bemühungen, die wilde Inszenierung zu verstehen, wie ein Kartenhaus zusammen.

Gewiss kreisen Mozarts Figuren gerade im «Figaro» am Rande des (Liebes-) Wahnsinns – Amor spielt sein böses Spiel nicht nur mit Cherubino. Er heizt ihre Fantasien an – fast werden sie zu Taten. Darin liegt der Kern und Zauber dieses Stücks: Mozart und sein Librettist da Ponte nutzen allein die Liebe in Gedanken zu einem unheimlichen Sinnesrausch.

Regisseur David Hermann wird eines seiner Opfer. Er verliert nach kühnem Beginn die Distanz zu seinen Figuren, treibt sie in einen die Charaktere verwischenden Strudel, hört im Garten-Akt, wo sich die Ereignisse zu überschlagen scheinen, nicht mehr der alles lenkenden Musik zu.

Was nützt es, wenn er vorher noch und noch dem gewohnten Lauf eine überraschende und kluge Wendung gab, wenn Kasperletheater, Videoprojektion und Schattenspiele sich ablösen wie Revuenummern? Zum Schluss kann man die Geistesblitze durchzählen, wird vielleicht auf 13 tolle Einfälle kommen – und wären es 33, sie würden dennoch nicht zu einem umrahmten Bild gereichen. Das merkt Hermann wohl selbst und lässt eine konstruierte Auflösung wie einen Holzhammer auf die riskante Inszenierung krachen. Zu den Schlussversen marschieren Wärter auf – unsere Protagonisten werden im Irrenhaus eingeschlossen, sind eine Gemeinschaft von Verrückten.

Deswegen also war der Graf von Anfang bis zum Schluss ein grinsender Gockel, deswegen sind Bartolo und Don Curzio eine Art Frankenstein und Quasimodo, deswegen der Gärtner einem Bild Arcimboldos entstiegen. Aber da hört der Spuk dann auch schon auf: Cherubino, Barbarina, Figaro und Gräfin spielen ihren Part wie eh und je.

Das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Howard Arman spielt genauso prächtig wie in der wunderbaren Luzerner «Don Giovanni»-Produktion der vergangenen Spielzeit, die Sänger aber sind nicht auf demselben Niveau.

Tobias Hächler passte besser in die Haut Don Giovannis als in jene des Grafen. Katharina Persicke singt die Gräfin mit hübsch-naivem Ton und auch Olga Privalova ist ein sicherer Cherubino. Aber allein Marc-Olivier Oetterli zeigt als Figaro die Facetten einer Mozartfigur wirklich auf.

Und Susanne? Da Simone Stock krank wurde, sprach Madelaine Wibom die Rezitative rechts und Vilislava Gospodinova sang die Arien und Ensembles links vom Orchestergraben. Auf der Bühne aber spielte der Regisseur David Hermann die Frauenrolle. Nicht genug also, dass Mozart Cherubino von einer Frau singen lässt und er sich zwischenzeitlich als Frau verkleiden muss... Kurz: ein verrückter Luzerner Abend. Vielleicht muss man ihm eine zweite Chance geben.