So viel von Mozart wie kaum je zuvor

Christian Berzins, Neue Luzerner Zeitung (22.02.2010)

Idomeneo, Rè di Creta, 20.02.2010, Zürich

Nikolaus Harnoncourt dirigiert Mozarts «Idomeneo». Die Oper ist sehenswert – auch wenn es an der Premiere Buhs gab.

Sechs Mal noch lädt Nikolaus Harnoncourt zum Mozartfest. Dieser Musikdenker erzählte an der Premiere vom Samstag so viel von Mozart wie kaum je zuvor: Alles scheint in diesem «Idomeneo» wahrhaft neu hinterfragt, was aber nicht heisst, dass der 80-Jährige nun in jeder Phrase ein Extrem suchen würde.

Der dramatische Verlauf des Abends nimmt naturgemäss im Orchestergraben zur Ouvertüre seinen Lauf. Aber selbst wenn erste Arien gesungen und die Parteien bezogen sind, behält der Dirigent den Erzählstrang in der Hand: Im Orchester pochen die Herzen, wallt das Blut – da vereinen sich die Seelen.

Viel Gewicht auf dem Ballett

Mitten in Mozarts «Idomeneo» sind wir: Ein König wird aus der Seenot gerettet und verspricht den Göttern als Dank den Kopf des ersten Menschen, auf den er an Land trifft. Es ist – sein Sohn. Unheil zieht übers Land, erst die Liebe einer gefangenen Prinzessin bringt Rettung.

Mozart hat 1781 aus dem antiken Stoff eine Oper geschaffen, die seine früheren (wenn nicht gar die späteren) Werke verblassen lässt: Und Mozart habe zudem, so Nikolaus Harnoncourt gegen die landläufige Meinung argumentierend, keine italienische Opera seria, sondern viel eher eine französische Oper geschrieben. Darin erhält das Ballett Gewicht. Der Tanz ist nicht Dekoration, sondern wird zur eigenen Handlungsebene: Neptun (Arman Grigoryan), der sein Opfer verlangt, kann so immer wieder bedrohlich auftauchen, sein Kreter verschlingendes Monster tanzt als Ballettchor schauerlich durch die Reihen.

Zum Schluss, wenn das Liebespaar Illia und Idamante vereint ist, gehts erst richtig rund zu und her, dann nämlich lässt Harnoncourt, wie einst 1781 von Mozart gedacht, dass Ballett KV 367 spielen. Und Ballettmeister Heinz Spoerli weiss, was er diesem Musikmeister schuldig ist: Da finden feinste Stimmungen Ausdruck in den Körper, da werden kleinste Orchester-Regungen zu Bewegung.

Inszenierung wirkt konventionell

Warum bei allem Glück gab es Buhs für die Regie zum Schluss? Wohl deswegen, weil die Inszenierung von Sohn und Vater Harnoncourt etwas konventionell wirkt. Die Handlung aber wird schlüssig erzählt und die Bilder (Rolf Glittenberg) sind prächtig. Die Sänger können sich darin bestens entfalten.

Aus Julia Kleiters (Illia) Gesang spricht das Frühlingsglück. Titelheld Saimir Pirgu, Marie-Claude Chappuis (Idamante) und Eva Mei (Elettra) suchen hingegen auch erfolgreich nach Wahrheit im Ausdruck. Und so kann aus dem klischierten Drachen Elettra eine böse Schlange werden.