Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (30.05.2006)
Giuseppe Verdis «Aida» im Zürcher Opernhaus
Schön sind diese Bilder anzusehen: eine Halle in einem Glaspalast, dahinter eine Palmenallee, Offiziere in eleganten Uniformen und Würdenträger in orientalischer Tracht, die Damen des Hofstaats in üppigen Krinolinen - Belle Epoque in Reinkultur. Wie bei ihrer letzten Zürcher Inszenierung, «La Forza del Destino», haben sich Nicolas Joel (Regie), Ezio Frigerio (Bühne) und Franca Squarciapino (Kostüme) auf die Devise «Entstehungszeit» festgelegt. So wird Giuseppe Verdis «Aida» aus dem alten Ägypten ins mittlere 19. Jahrhundert transferiert. Der ästhetische Gewinn ist eklatant: delikate Farben, fliessende Linien, stimmungsvolles Licht, vor allem aber Weite. Schade nur, dass monumentale Ausstattungsstücke die Bühne dann doch immer wieder überfüllt erscheinen lassen, im ersten Akt das Vogelmosaik, vor dem der Gott Phtha angebetet wird, im zweiten der Bug des Kanonenbootes, das den siegreichen Feldherrn Radamès zurückbringt, am Schluss die schwarze Marmorpyramide, in der Radamès und Aida eingemauert werden.
Dekoration statt Psychologie
Auch die Durchmischung der zwei Kriegsparteien - hier die triumphierenden Ägypter, dort die erniedrigten Äthiopier - mit britischen und französischen Kolonialherren und promenierenden Paaren, die das Geschehen als Zuschauer verfolgen, hat ihren optischen Reiz. Doch mit dem Inhalt der Oper hat sie wenig bis nichts zu tun. Umso mehr sagt sie aus über den Stil von Joels Inszenierung. Da geht es wie in längst vergangen geglaubten «Aida»-Zeiten, nur unter veränderten stilistischen Vorzeichen, um Ausstattungstheater und dekorativ gestellte oder getanzte Gruppenbilder (Choreographie: Stefano Giannetti), nicht um Psychologie, um komplexe zwischenmenschliche Beziehungen und um Machtstrukturen.
Bezeichnend schon die erste Szene von Radamès. Salvatore Licitra trägt die gefürchtete Auftrittsarie «Celeste Aida» mit bemerkenswerter Lockerheit, leichtem Ansatz und einem Höhenglanz vor, der im Verlauf der Aufführung dann etwas verblasst. Wie schizophren jedoch sein Plan ist, die Äthiopier zu besiegen und dann Aida, die gefangen gehaltene äthiopische Königstochter, zu gewinnen, davon vermittelt seine schablonenhaft plumpe Darstellung nicht einmal eine Ahnung. Auch Amneris, die stolze, machtbewusste Tochter des schwachen ägyptischen Königs (Günther Groissböck), wird als Charakter nicht ausgeformt. Luciana D'Intinos Mezzosopran verfügt zwar zwischen der dunklen Tiefe, der wohlklingenden Mittellage und der oft forcierten Höhe über manche Facetten, aber sie werden zu unkontrolliert eingesetzt, zeichnen nicht die innere Entwicklung der Figur nach. Der besiegte äthiopische König Amonasro, der seine Tochter Aida mit psychischem Terror dazu bringt, von Radamès den Kriegsplan der Ägypter zu erfragen, setzt hier, in Gestalt von Juan Pons, zu sehr nur auf körperliche und (wenig differenzierte) stimmliche Kraft. Und wie viel mehr liesse sich - gerade mit Matti Salminen - aus dem Oberpriester Ramfis machen, wenn er nicht bloss Träger eines imposanten Basses wäre, sondern die Ideologie der Gewalt verkörperte.
Die Titelfigur als Zentrum
Aida ist zwar eine der anspruchsvollsten Sopranpartien des Verdi-Repertoires, aber in Joels Inszenierung hat sie es leichter als die übrigen Figuren, weil sie passiver ist, in sich ruht trotz der Zerrissenheit zwischen Liebe und Vaterlandstreue, vor allem aber, weil Nina Stemme über eine natürliche Ausstrahlung verfügt, die sich auch ohne Personenregie behauptet. Zart und ohne Druck setzt sie die Töne an, um in der Höhe strahlenden Glanz zu gewinnen, selbst im Forte verliert ihr Sopran seinen charakteristischen warmen Klang nicht. In der Nil-Arie allerdings scheint ihr Vibrato nicht mehr nur seelische Erregtheit, sondern auch die Anspannung eines grossen Rollendébuts anzuzeigen.
Nina Stemmes Aida wird aber auch deshalb zum Zentrum der Aufführung, weil ihr Gesangsstil der Werkauffassung des Dirigenten Adam Fischer am nächsten kommt. Nicht von der bombastischen, in der Triumph-Szene kulminierenden Seite her geht er Verdis Oper an, sondern von der intimen, lyrischen. Das korrespondiert zwar - auch rhythmisch - nicht immer mit den Solisten und dem Chor, bringt aber die klanglichen Qualitäten des Orchesters schön zur Geltung. Nur fehlt es Fischer in der Detailgestaltung immer wieder an Durchsetzungskraft, so dass sein Interpretationsansatz sich nicht konsequent genug entwickeln kann. Aber vielleicht wächst die Aufführung noch zusammen. Anders als die von Nikolaus Harnoncourt und Johannes Schaaf verantwortete letzte Zürcher «Aida» von 1997 dürfte diese Neuproduktion jedenfalls mehr als bloss sieben Aufführungen erleben.