Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (22.02.2010)
Dirigent Nikolaus Harnoncourt macht am Opernhaus Zürich aus «Idomeneo» ein Mozart-Fest. Wie er die Oper zusammen mit seinem Sohn Philipp inszeniert hat, gefiel einigen Premierenbesuchern gar nicht.
Das Glück ist nur zehn Ziffern entfernt. 0442686666 heissen die Zauberzahlen, die einen heute ab 11.30 Uhr mit der Zürcher Opernhauskasse verbinden – sechs Mal noch lädt Nikolaus Harnoncourt zum Mozart-Fest. Dieser Musikdenker erzählte an der Premiere so viel von Mozart wie kaum je zuvor: Alles scheint in diesem «Idomeneo» wahrhaft neu hinterfragt, was aber nicht heisst, dass der 80-Jährige nun in jeder Phrase ein Extrem suchen würde.
Der dramatische Verlauf des Abends nimmt naturgemäss im Orchestergraben zur Ouvertüre seinen Lauf. Aber selbst wenn die ersten Arien gesungen und die Stellungen bezogen sind, behält der Dirigent den Erzählstrang in der Hand: Im Orchester pochen die Herzen, da wallt das Blut – da vereinen sich die Seelen. Wo der Himmel lacht, ist auch die Hölle nicht fern: Selbst wenn Harnoncourt das Orchester jubeln lässt, schafft er es, darin einen Zweifel hörbar zu machen.
Mitten in Mozarts «Idomeneo» sind wir: Ein König wird aus der Seenot gerettet und verspricht den Göttern als Dank den Kopf des ersten Menschen, auf den er an Land trifft. Es ist... sein Sohn. Unheil zieht übers Land – die Liebe einer gefangenen Prinzessin bringt Rettung. Mozart hat 1781 aus dem antiken Stoff eine Oper geschaffen, die seine früheren (wenn nicht gar die späteren) Werke verblassen lässt: Und Mozart habe zudem, so Nikolaus Harnoncourt gegen die landläufige Meinung argumentierend, keine italienische Opera seria, sondern viel eher eine französische Oper geschrieben. Darin erhält das Ballett Gewicht. Doch der Tanz ist nicht Dekoration, sondern wird geradezu zur eigenen Handlungsebene: Neptun (Arman Grigoryan), der sein Opfer verlangt, kann so immer wieder bedrohlich auftauchen, sein Kreter verschlingendes Monster tanzt als Ballettchor schauerlich durch die Reihen.
Zum Schluss, wenn das Liebespaar Illia und Idamante vereint ist, gehts erst richtig rund zu und her, dann nämlich lässt Harnoncourt, wie einst 1781 von Mozart gedacht, dass Ballett KV 367 spielen. Und Ballettmeister Heinz Spoerli weiss, was er diesem Musikmeister schuldig ist: Da finden feinste Stimmungen Ausdruck in den Körpern, da werden kleinste Orchesterregungen zu Bewegung. Der Charme dieser Schlussviertelstunde ist hinreissend.
Warum bei allem Glück Buhs für die Regie zum Schluss? Wohl deswegen, weil die Inszenierung von Sohn und Vater Harnoncourt etwas konventionell wirkt. Die Handlung aber wird schlüssig erzählt und die Bilder (Rolf Glittenberg) sind prächtig. Die Sänger können sich darin bestens entfalten.
Aus Julia Kleiters (Illia) Gesang spricht das Frühlingsglück. Titelheld Saimir Pirgu, Marie-Claude Chappuis (Idamante) und Eva Mei (Elettra) suchen hingegen auch erfolgreich nach Wahrheit im Ausdruck. Und so kann aus dem klischierten Drachen Elettra eine böse Schlange werden.
Über Weihnachten suchte der Kulturkanal Arte nach den «10 schönsten Opern aller Zeiten». «Traviata» schlug sich da mit «Carmen» und «Tosca». Wer Harnoncourts in Zürich erlebt, wird erkennen, wie klein diese Werke gegen einen solchen «Idomeneo» sind.