Nikolaus Harnoncourt dirigiert und inszeniert gemeinsam mit seinem Sohn Mozarts „Idomeneo“

Elisabeth Schwind, Südkurier (22.02.2010)

Idomeneo, Rè di Creta, 20.02.2010, Zürich

Etliche Musiker, die als Geiger, Pianisten oder Klarinettisten begonnen haben, stehen eines Tages am Dirigentenpult. Filmregisseure inszenieren plötzlich Opern, Architekten bauen Bühnenbilder. Das kann gut gehen, gerade die Dirigentenkarriere beginnt häufig irgendwo im Orchester. Und gelegentlich gibt es Universalgenies. Aber manchmal fragt man sich auch, was einen Künstler eigentlich dazu berechtigt, sich in fachfremden Gefilden herumzutreiben. Bei Nikolaus Harnoncourt drängt sich die Frage umso mehr auf, als er den medialen Sprung aus dem Orchestergraben auf die Bühne wagt. Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Idomeneo“, die nun in Zürich Premiere hatte, dirigiert Harnoncourt nicht nur, er hat sie auch inszeniert. Auf die Frage nach dem Warum hat Harnoncourt eine verblüffende Antwort: „Ich habe nie eine Inszenierung von ‚Idomeneo' gesehen, die dem Werk gerecht wird.“ Seiner Meinung nach wurde die Form bisher immer missverstanden.

„Idomeneo“ wirkt wie eine Opera seria, wie eine italienische Barockoper also mit ihren mythologischen Stoffen und der Welt der Götter, Könige und Heeresführer. Der Konflikt ist der Folgende: Kreterkönig Idomeneo verspricht dem Gott Neptun, den ersten Menschen zu opfern, der ihm nach seiner Heimkehr aus dem Krieg begegnet – wenn er denn nur heil zurückkommt. Doch wer ihm dort als erster über den Weg läuft, ist sein Sohn Idamante...
 
Harnoncourts Meinung nach ist Mozarts „Idomeneo“ allerdings keine echte Opera seria, sondern entspricht formal deren französischer Variante, der Trágedie lyrique – ungeachtet des italienischen Textes. Die französische Barockoper ist repräsentativer, vor allem integriert sie als wesentlichen Bestandteil das Ballett. Und tatsächlich hat Mozart für den „Idomeneo“ ausgedehnte Ballettmusiken geschrieben – die in vielen Inszenierungen aus Gründen der Stringenz weggelassen werden.

Harnoncourt geht es also (auch) um eine Rehabilitierung der Ballettmusik. Die Argumentation ist verständlich. Zugleich gibt er in einem Interview offen zu: „Regie führen kann ich ja gar nicht.“ Weswegen er sich Hilfe bei seinem Sohn Philipp geholt hat. Vater und Sohn zusammen mit dem Choreografen Heinz Spöri gelingt es allerdings nicht, die These von der Unverzichtbarkeit des Balletts zu untermauern – insbesondere der Schlussteil wirkt in Bild und Musik redundant.

Insgesamt muss man der Regie zugute halten, dass sie die Handlung des Stücks auch Neueinsteigern verständlich macht. Dennoch wirkt die Bühnensprache oft banal (warum müssen sich Gefangene inzwischen überall Abu-Ghraib-Kapuzen über den Kopf ziehen?), gelegentlich auch unbeholfen (etwa im Herumschieben der Kulissenteile von Rolf Glittenberg) oder unfreiwillig komisch – so wenn die Utopie einer friedlichen Welt als weiß gekleidete Thomas-Mann-Gesellschaft gezeigt wird, in der Tennis gespielt und mit Sonnenschirmchen flaniert wird (Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser).

Da man also auf der Bühne nichts Wesentliches verpasst, kann man getrost Nikolaus Harnoncourt bei der musikalischen Leitung des Orchesters „La Scintilla“ zuschauen. Und das ist nun wirklich hochspannend. Harnoncourt hat im Dezember seinen 80. Geburtstag gefeiert, aber auf dem Pult wirkt er wie ein junger Gott. Er dirigiert entschieden, energisch – und unglaublich klar. Auch wenn im ersten Akt nicht immer alles hundertprozentig sauber klingt, jede kleinste Handbewegung des Dirigenten kommt im Orchester an, jedes Detail ist im Klangbild nachvollziehbar. Und wie Harnoncourt die Partitur nicht nur analysiert und seziert, sondern zu der für ihn so charakteristischen „Klangrede“ wieder zusammensetzt, das ist großartig. Sein Umgang mit dynamischen Details, mit Tempo und Tempoverzögerungen, mit Pause und Atem verleiht Mozarts Musik exakt die psychologische Tiefe, die sie braucht. Einen Höhepunkt erreicht das in dem (einzigen) Quartett zwischen Idomeneo, Idamante, Ilia und Elettra, das hier eine berückende Innigkeit erlangt – nicht zuletzt auch durch das harmonische Solistenquartett, das nur wenige Wünsche offen lässt.

Marie-Claude Chappius in der Hosenrolle des Idamante und Julia Kleiter als Ilia verschmelzen stimmlich zum idealtypischen Liebespaar. Eva Mei als Elletra überzeugt vor allem dort, wo sie ihrer Rolle ein paar Buffo-Seiten abgewinnen darf, während ihr für den Furor der Partie die Wut in der Stimme fehlt. Saimir Pirgu als Idomeneo schließlich setzt seinen kräftigen Tenor gelegentlich zu draufgängerisch ein, punktet aber durch Klangschönheit. Großer Applaus für Harnoncourt als Dirigenten, ein paar verstreute Buhs für die Regie.