'Mit Tanz und Gesang wollen wir ihn preisen'

Toni Hildebrandt, klassik.com (22.02.2010)

Idomeneo, Rè di Creta, 20.02.2010, Zürich

Harnoncourts Liaison mit den Opern Mozarts fällt zusammen mit seinem revolutionären Wirken als einem der wesentlichen Begründer der Historischen Aufführungspraxis. Nicht nur hat Harnoncourt meisterhafte Aufnahmen, Erarbeitungen und Inszenierungen als Dirigent geleitet – auch seine reflektierenden Schriften gehören zum wertvollsten einer aus der Praxis inspirierten Musikwissenschaft. Neben Bach und Monteverdi war Mozart hierbei stets der wichtigste Komponist seines ästhetischen Denkens, das Musik vordergründig als Sprache begreift und folglich ihr Potential als „Klangrede“ in den Mittelpunkt der Interpretation rückt. Harnoncourts Dirigieren erschöpft sich jedoch keinesfalls in einer rein rhetorischen Exegese der Partitur und Spielanweisung. Gerade im hohen Alter haben sein Stil, sein Nuancenreichtum und seine Tempi eine Nonchalance erreicht, wie sie eben gerade für Mozarts Werke charakteristisch ist. Weiß man nicht, was in all der Einfachheit die Größe ausmacht, so ist man doch ebenso gewiss über jene erstaunliche Balance, Harmonie und Schönheit, die aus jeder noch so einfachen Melodiewendung zu uns spricht. In vielem ist Harnoncourt daher immer noch ein idealer Mozart-Dirigent, dessen Aktivität am Pult zudem keineswegs die frühe, impulsive Euphorie verloren zu haben scheint. T.S. Eliots poetische Worte, „you are the music while the music lasts“, finden in Harnoncourt nach wie vor ihre überwältigende Personifizierung.

In Zürich hat der österreichische Dirigent nun jedoch sein Metier als Kapellmeister überschritten und sich nach Graz 2008 erneut als Regisseur an einen 'Idomeneo' gewagt. Harnoncourt ist alles in allem natürlich mehr als ein großartiger "Schuster", dem man nicht nur das Handwerk an seinen „Leisten“ zutrauen sollte. Dennoch – und diese Kritik sollte man in einem international renommierten Haus wie der Züricher Oper üben – ist seine Regieleistung der bei weitem enttäuschendste Part einer insgesamt überzeugenden Operninszenierung. Es fehlt vor allem die Stringenz und Spannung in der Handlung, wie sie beispielsweise unlängst Luc Bondy an der Pariser Opéra Garnier (klassik.com berichtete) umgesetzt hat – mitweilen ist die Dramaturgie gar regelrecht fad und uninspiriert. Darüber täuschen hingegen einzelne, äußerst subtil gesetzte Augenblicke hinweg, die Harnoncourts musikalisches „Augenmaß“ auch im Szenischen wieder erkennen lässt.

So erscheint Neptun im Stile antiker Triumphzüge von einer mehrköpfigen "Blue-Man-Group" getragen und wird so nicht nur mit der Spontaneität eines Deus ex machina eingeführt, sondern lässt auch eine treffende Differenzierung zwischen den zeitgenössischen Charakteren der Hauptprotagonisten und einer dezidiert voraufklärerischen Fantasiewelt der Fiktionen und Mythen erkennen. Harnoncourts genialer Schachzug - mit dem er Geschichte schreiben wird - ist jedoch die Integration handlungsdominanter Ballette. In der Folge einer überzeugenden musikhistorischen Interpretation legt Harnoncourt den 'Idomeneo' nicht nur als Opera seria aus, sondern auch als Mozarts französische Oper in der Tradition der tragédie lyrique. Dort waren Ballette wichtiger Bestandteil der „Handlung“. Akte endeten oft ein bis zwei Stücke vor dem Schluss und erfuhren so eine „wortstumme“ Finalis – im 'Idomeneo' daher sogar ein „getanztes Happy End“.

Man übertreibt deswegen nicht, wenn man dem Choreografen Heinz Spoerli einen wesentlichen Anteil an der Wirkung und Qualität der Neuinszenierung zuspricht. Seine Ballette sind nicht nur zu Mozart kongenial arrangierte Tänze, sondern auch die eigentlichen Herzstücke von Harnoncourts Regie. Sieht man die Erarbeitung folglich im Sinne eines Primats von Musik und Tanz ('Mit Tanz und Gesang wollen wir ihn preisen...') haben die Regisseure Nikolaus und Philipp Harnoncourt, Heinz Spoerli und Rolf Glittenberg (Bühne) eigentlich alles richtig gemacht. Ein voluminöser Chor und erstklassige Solisten standen der hoch präzisen Orchesterarbeit zudem in nichts nach. Saimir Pirgu sang einen gefühlvollen Idomeneo. Julia Kleiter verlieh der Ilia eine glasklare, intonationssichere Stimme, an deren Seite trotz phonetischer Härte auch Marie-Claude Chappuis durchweg überzeugte. Lediglich Eva Mei hatte gen Ende mit dem Timbre zu kämpfen und sang eher unter ihrem sonst gewohnt hohen Niveau. Gerade schauspielerisch war Mei dennoch eine Idealbesetzung für die „femme fatale“ der Elettra.

Im tosenden Applaus der ausverkauften Züricher Oper konnte man sich nach dem friedvollen Tanzreigen entscheiden, ob man Saimir Pirgu für seine Arien, Harnoncourt für sein Dirigat oder Spoerli für das fulminante Schlussballett den größten Beifall geben sollte. In Gesang, Orchester und Ballett liegen die großen Stärken dieser Inszenierung – und das ist im Falle Mozarts auch sehr gut so.