Musikalische Glanzmomente, problematische Inszenierung

Patrick Fischer, Der Bund (01.03.2010)

Eugen Onegin, 26.02.2010, Bern

Die Oper «Eugen Onegin» am Berner Stadttheater überzeugt nur bedingt.

Musikstudenten bevölkern die karg möblierte Szenerie (Bühnenbild: Ben Baur), die mit ihren Grautönen die Langeweile in der russischen Provinz sichtbar macht. Was es mit dem etwas befremdlich wirkenden Sit-in einer Schar jugendlicher Statisten auf sich hat, erfährt man aus Yona Kims Überlegungen zu ihrer ersten Inszenierung am Berner Stadttheater: Sie sollen staunend emotionale Parallelen zu ihrem eigenen Leben entdecken und so eine «atmosphärische Rückkehr zum Uraufführungsort» ermöglichen. Tschaikowski hatte für die Uraufführung seiner Oper «Eugen Onegin» im Jahr 1879 die Partien mit Konservatoriumsstudenten besetzen lassen. Im Gegensatz zu uns ach so abgebrühten Erwachsenen sollen die Jugendlichen noch authentisch staunen können über die Liebe und ihre Verstrickungen. An sich ein hübscher, aber etwas entlegener und auch nicht unumstrittener Gedanke: Entsprechend kann er seine Wirkung auf der Bühne nicht wirklich entfalten, weil er ohne Zusatzinformationen aus dem Programmheft nur bedingt nachvollziehbar ist. Auch werden die jungen Akteure viel zu selten ins Geschehen eingebunden, als dass eine mehrschichtige Bedeutung hätte erzielt werden können.

Ausnahmen bestätigen das Potenzial: Ein wirklich ergreifendes Bild gelingt in der Szene vor dem Duell, als Lenski die verschiedenen, von Statisten dargestellten Phasen seines ungelebten Lebens an sich vorbeiziehen lässt. Auch das Briefmotiv wird stimmig umgesetzt. Ansonsten unterläuft die Regie mit dem personalen Überangebot auf der Bühne den privaten, ja intimen Charakter der unglücklichen Liebesgeschichte. Die eher unbeholfene, statische, zum Teil irritierende Personenführung tut das Ihrige, dass das Premierenpublikum die Szenen eher kühl aufnimmt.

Starke Rollenporträts

Während die Regie zum Teil mit unüberhörbaren Buhs bedacht wurde, gab es am Premierenabend Lob für das engagiert musizierende Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Srboljub Dinic sowie für die Sängerinnen und Sänger. Allen voran Robin Adams, der das seelische Spektrum Eugen Onegins anschaulich zu verkörpern vermag. Zunächst ganz Macho, lässt er Tatjana (Tamara Alexeeva) zwar abblitzen, tut dies aber nicht ganz ohne Stil. Seine Wandlung zum verzweifelten Bittsteller in der Schlussphase überzeugt allerdings nur bedingt. Auch der Übergriffsversuch auf Tatjana ist gemessen an der Vorlage nicht plausibel. Sängerisch überzeugt Adams dagegen: Er kann mit Klangfarben gestalterische Freiräume nutzen, welche ihm in darstellerischer Hinsicht nicht vergönnt sind.

Ein ähnlich breites Spektrum zeigt Tamara Alexeeva: Das scheue, bebrillte Mauerblümchen wird zur selbstbewussten Dame. Alexeeva lässt sich auf die verschiedenen Facetten dieser Persönlichkeit ein und vermag sie auch in sängerischer Hinsicht bühnenwirksam umzusetzen. Natasa Jovic überzeugt als ungleiche Schwester Olga und verkörpert stimmlich wie schauspielerisch das unbeschwerte Wesen, das Lenski um den Verstand bringt. Das Abschneiden des Haarzopfs vor dem Duell ist eine starke Geste. Peter Wedd verkörpert den romantischen Hitzkopf Lenski mit tenoralem Glanz und höchst emotionaler Gestik. Wie die anderen steht aber auch Lenski angesichts des heterogenen Regiekonzepts ziemlich isoliert da.

Die Sängerdarsteller zeigen gute Ensembleleistungen und erweisen sich in der Art und Weise, wie sie aufeinander eingehen, als selbstverantwortliche Künstler. Der grössere Kontext fehlt aber leider über weite Strecken. Profilierte Leistungen zeigen auch Jelena Bodrazic als Mutter Larina, Pavel Daniluk als Gremin sowie Fiorentina Giurca als Amme Filipjewna. Mit ihrer schwarzen Witwentracht, die wunderbar der desillusionierten Weltsicht dieser Figur entspricht, und den nach wie vor eminenten stimmlichen Fähigkeiten lässt die in Bern sehr beliebte Sängerin diese kleine Rolle zum Ereignis werden. Bei diesem, aber auch bei den meisten anderen Porträts stellt sich ein, was die Regisseurin mittels eines Kunstgriffs zu bewerkstelligen versuchte: Man kann – ganz authentisch – staunen und sich freuen sich über den gestalterischen Reichtum, der Freuden und menschliche Abgründe gleichermassen umfasst.

Anders als die Regie erscheint die musikalische Leitung schlüssig. Klar und doch sinnlich sind die Klangfarben, die Srboljub Dinic dem gut disponierten Orchester entlockt. Ein pragmatisches und solides Theaterdirigat, das den Sängern und Orchestermusikern Freiräume bietet. Besonders aufhorchen lassen das Celloregister und die Horngruppe mit wunderschönen Kantilenen. Aber auch von den Holzbläsern sind profilierte Soli zu vernehmen. Entscheidend ist aber der warme, kompakte Gesamtklang, welcher der Deutung zu einer Geschlossenheit verhilft und dramaturgische Lücken auf der Bühne mit Wohllaut zu schliessen vermag.