Ohne Idee: Die neue Zürcher «Aida»

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (30.05.2006)

Aida, 28.05.2006, Zürich

Nicolas Joël inszeniert «Aida» am Opernhaus Zürich plan- und ideenlos. So produziert man das Ärgernis der Saison – trotz guter Besetzung.

Wer eine Oper inszeniert, müsse sich überlegen, was er damit erzählen wolle: So hiess es schon letzten Oktober an dieser Stelle beim Bericht über Nicolas Joëls «Forza del destino»-Regie am Opernhaus Zürich. Jetzt war für «Aida» derselbe Regisseur am Werk, und man ist konsterniert: Kein Anflug von Deutungs- oder nur Verdeutlichungswille dringt über die Rampe. Auf der Strecke bleibt alles, was den genialen Musikdramatiker Verdi ausmacht.

Kolonialfolklore

Zwei Beispiele: Da besingt ein grosses Ensemble mit Chor den bevorstehenden Krieg: «Guerra, guerra – morte allo stranier» (Tod dem Fremden). Im Opernhaus singt ihn ein putziges Heer von Kolonialisten in Roben und Uniformen fähnchenschwingend affirmativ in den Saal. Dass Verdi diese Stelle wie auch den Triumphmarsch, mit doppeltem Boden komponiert hat, interessiert die Inszenierung nicht: Hauptsache das Tableau steht.

Ähnlich unbedarft geht die Regie mit dem Ballett um, das in die ägyptische Siegesfeier eingebaut ist. Zerlumpte Gestalten bieten ironiefrei ein pittoresk exotisches, klassisches Ballett. Mehr Gedankenlosigkeit, in welcher Situation sich die Handlung befindet, ist kaum denkbar – gerne erinnert man sich da an Philipp Eglis perfekt in die Handlung integrierte Choreografie der letzten, neun Jahre zurückliegenden Zürcher Inszenierung zurück.

Dass auch die Verlegung der Handlung aus dem Altertum in die Entstehungszeit um 1870 nicht einleuchtet, wird darob zur Nebensache. Immerhin gibt es im intimeren dritten und vierten Akt keine solchen Massen-Peinlichkeiten mehr, dafür fällt die Abwesenheit jeder Personenführung umso stärker auf.

Schwedische Entdeckung

Aus dem Graben kommt wenig Unterstützung. Unter Adam Fischer spielt das Orchester oft laut und hart. Die Piani, um die sich Fischer durchaus bemüht, wirken wie isolierte Inseln. Zum existenziellen Musikdrama wird diese «Aida» in keinem Moment, trotz beachtlicher Besetzung. Aber Salvatore Licitra verlässt sich als Radamès zu sehr auf sein Stimmmaterial und verzichtet auf weitere Gestaltung. Immerhin haben die souveränen Matti Salminen (Ramfis), Juan Pons (Amonasro) und Luciana D'Intino (Amneris) ihre Rollen so oft gesungen, dass sie selber wissen, wie sie die bestmögliche Wirkung erzielen.

Bleibt ein starker Lichtblick: Nina Stemme, die Zürcher Marschallin und Bayreuther Isolde, singt zum ersten Mal Aida. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie feinste Bögen zu gestalten weiss und trotzdem jederzeit mühelos über die nötige kontrollierte Dramatik verfügt. Wie würde ihre Aida erst in einem günstigeren Kontext wirken?