Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (15.03.2010)
Die Zürcher Premiere von Jacques Offenbachs Opéra fantastique «Les contes d’Hoffmann» vom Samstagabend wurde trotz schwieriger Umstände zu einem bejubelten Erfolg.
Das ist der Alptraum jedes Opernintendanten: Nicht nur, dass ein Tag vor Probebeginn Regisseur Thomas Langhoff schwer erkrankte und an seiner Stelle Grischa Asagaroff die Produktion übernehmen musste. 24 Stunden vor der Premiere kam auch die Hiobsbotschaft, dass Elena Mosuc, welche alle drei Frauenrollen zu singen gedachte, eine derart schwere Stimmbandentzündung hatte, dass sie auf keinen Fall singen durfte. So mussten quasi über Nacht drei Sängerinnen gefunden werden, die an ihrer Stelle sangen, während Elena Mosuc die Rolle spielte. Hierbei kam erschwerend hinzu, dass die Zürcher Neuinszenierung auf der 2005 erstellten Neufassung von Michael Kay und Christophe Keck beruht. Diese Fassung hat noch kaum jemand im Repertoire. Offenbachs «Les contes d’Hoffmann» hat ja, da die Quellenlage recht mysteriös ist, zahlreiche Bearbeitungen, Kürzungen und Entstellungen erfahren. Überraschende Manuskriptfunde in den 1970er und 1980er Jahren machten es möglich, diese einzige grosse Oper von Offenbach ohne Zutaten anderer aufzuführen.
Grigolo-Debüt als Hoffmann
Die auffälligsten Neuerungen sind im «Giulietta»-Akt zu erkennen: Die sogenannte «Diamanten-Arie» wurde mit einer Originalarie von Offenbach ersetzt, und das berühmte Septett im selben Akt kann man nun in Offenbachs Originalversion hören. Die Premiere hinterliess unter der präzisen und stringenten Lesart von David Zinman einen in sich stimmigen Eindruck, der Abend dauerte jedoch sehr lange, mit Pause knapp vier Stunden. Die Geschichte dreht sich um den Dichter E. T. A. Hoffmann, der seine spukhaften Erzählungen über drei Frauenfiguren – Olympia, Antonia und Giulietta – und die eingebildete, fatale Liebe zu diesen nicht nur erzählt, sondern auch gleich selber erlebt. Begleitet wird er von seiner Muse, die ihm, verkleidet als treuer Freund Nicklausse, mit Rat und Tat zur Seite steht.
Vittorio Grigolo und Michelle Breedt geben in diesen beiden Rollen ein ideales Paar ab. Grigolo ist sein Rollendebüt als Hoffmann mit starker Bühnenpräsenz und überzeugender Charakterdarstellung gelungen. Stimmlich hat ihn die Monsterpartie ab und zu an die Grenzen der dramatischen Kraft gebracht, er forcierte gerne ins allzu Laute. Demgegenüber sorgte Michelle Breedt mit ihrem weichen, gut tragenden Mezzosopran für eine anschmiegsame und doch selbstbestimmte «Muse».
David Zinman sorgte im Orchestergraben für eine präzise, eindrücklich ausmusizierte und beredte Interpretation. Herrlich die weichen und musikalisch betörenden Holzbläser, schlank und luzide die Streicher und das Tempo stringent und konsequent durchgestaltet. Dadurch gab es zwar kleine Irritationen im Zusammenspiel von Bühne und Orchestergraben, besonders bei den Chorpartien, dennoch zog dieses konsequente Tempo für einen wohltuend klaren und verlässlichen Zug durch das Stück. Die Bühne von Bernhard Kleber vereint geschickt das Wirtsstubenambiente mit modernem Labor oder Partyraum. In kürzester Zeit öffnet sich die Wirtsstube in einen weiten Raum mit Glasfenstern und gestylten Laboreinrichtungen. Zudem wird durch einen transparenten, perspektivisch bemalten Vorhang der Fokus immer wieder auf den Dichter Hoffmann gelenkt. Nicht nur, dass so die Erzählung deutlich vom Erzähler getrennt wird, die Requisiten ermöglichen auch eine klare, natürliche Personenführung.
Köstliche Olympia
So wird etwa Olympia in einem Glaskasten hochgefahren und der geladenen Gesellschaft vorgeführt. Elena Mosuc machte aus dieser zur Idealfrau gestylten Puppe eine herrliche Figur, mit heiklen «mechanischen» Schrittfolgen und köstlichen «Überdrehungen». Gesungen wurde die Olympia von Sen Guo, die diese Partie aus der Not heraus über Nacht einstudierte und erstmals sang. Sie tat es grandios, mit lupenreinen Koloraturen und kecker Risikobereitschaft.
Die Antonia im dritten Akt, die schwer krank ist und deshalb nicht singen darf, wurde von Raffaela Ageletti mit der notwendigen Melancholie in der Stimme gestaltet. Hoffmann ist unglücklich in Antonia verliebt, denn sie muss, auch wegen dem teuflischen Coppélius, an der Kunst sterben. Laurent Naouri gab diesen «Docteur miracle» mit unaufdringlichem und doch abgründigem Spiel und einer farbenreichen Stimme.
Und schliesslich der «Giulietta»-Akt in der «dekadenten Gesellschaft». Aus den Glasfenstern wurden Spiegelwände, denn Hoffmann verliert hier ja sein Spiegelbild. In diesem Akt kamen auch die fantasievollen Kostüme von Florence von Gerkan schön zur Geltung, die den Chor in eine bunte Partygesellschaft verwandeln. Elena Mosuc gab auch der Giulietta eine körperbetont verführerische Eleganz, während Riki Guy diese heikle Partie als Einspringerin recht zurückhaltend, aber sicher sang.
In den Nebenrollen zeigte sich Martin Zysset, der in den diversen Diener-Partien debütierte, als stimmlich wie darstellerisch wendiger und echt komischer Kauz. Tenor Benjamin Bernheim gab als Erfinder Spalanzi ein eindrückliches Debüt, und Giuseppe Scorsin vermochte mit seinem anschmiegsamen Bass als Vater von Antonia zu berühren. Das Publikum spendete allen Beteiligten, auch der subtilen Regie von Grischa Asagaroff, begeisterten Applaus.