Hoffmanns Schaffensrausch in surrealen Traumwelten

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (15.03.2010)

Les Contes d'Hoffmann, 13.03.2010, Zürich

Tonhalle-Chefdirigent David Zinman dirigierte am Samstag zum ersten Mal im Zürcher Opernhaus: Die Premiere von Offenbachs Oper «Les Contes d'Hoffmann» litt unter der Erkrankung von Elena Mosuc, die gleich dreifach ersetzt wurde.

Sie wollte die grosse Herausforderung meistern, Elena Mosuc, und in Offenbachs «Hoffmann» alle drei weiblichen Hauptrollen singen. Am Ende jedoch sang sie am Samstagabend im Zürcher Opernhaus gar nicht, sondern mimte wegen einer Entzündung der Stimmbänder die Figuren nur, während Einspringerinnen von der Seitenbühne die Partien aus den Noten sangen: Bravourös war Sen Guo, die Chinesin im Zürcher Ensemble, mit so quirligen Koloraturen, als hätte sie die Olympia seit Wochen ununterbrochen geübt. Durchschnittlich blieben die anderen beiden, Raffaela Angeletti als Antonia und Riki Guy als Giulietta, beide mit einigen Schärfen in den Höhen und den zu erwartenden Koordinationsproblemen vor allem in den Duetten.

Darstellerische Defizite

Für Mosuc selbst blieb das, was sie üblicherweise am wenigsten gut kann: Schauspielen. Und der Abend zeigte, dass das sonst nicht daran gelegen hatte, dass sie vom Singen derart absorbiert gewesen wäre. Ihre Darstellung der Roboterpuppe Olympia war ganz ansehnlich, Antonia blieb blass, und die verführerische Kurtisane Giulietta nahm man ihr schlicht nicht ab.

Daran hatte offenbar auch Regisseur Grischa Asagaroff wenig ändern können. Seinerseits war er nicht unter idealen Bedingungen in die Produktion gestossen, sondern für Thomas Langhoff eingesprungen, der endlich seinen Regie-Einstand in Zürich hätte geben sollen, aber kurz vor Probenbeginn ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Da standen natürlich die Bühnenbilder längst, die Kostüme waren in Arbeit. Asagaroff blieb die Aufgabe, die Figuren in ein fertiges Konzept zu stellen; ein Konzept, das die Episodenoper von Jacques Offenbach (1819-1880) sehr schlüssig als Schaffensrausch des Dichtergenies Hoffmann sieht, der - durch exzessiven Alkoholkonsum zusätzlich befördert - zu Träumereien und Halluzinationen bis zum Delirium führt. Das befreit nicht nur die Figuren, gibt zum Beispiel den Bösewichten ungeniert diabolisches Profil, was wiederum Laurent Naouri sängerisch wie darstellerisch prächtig auszuspielen wusste.

Die reale Rahmenhandlung spielt in einer Bar neben dem Theater, wo Hoffmann an seinen Stücken schreibt und die Figuren rund um ihn herum mit in seine Fantasien hineinreisst: Die Wände der Bar werden beiseite geschoben, und die Zuschauer finden sich wieder in traumhaft schönen Bühnenbildern von Bernhard Kleber. Diese wirken so stark für sich selber, dass die eher statischen Tableaus, die Asagaroff darin anrichtet, sehr passend erscheinen. Wo der Regisseur die Personenführung intensiviert, sind es vor allem komödiantische Einschläge, die im schwebenden Ambiente dieser surrealen Welten zusätzlich für Leichtigkeit sorgen.

Beeindruckendes Rollendebüt

Schwerelos leicht wirkte auch Vittorio Grigolo, der ein starkes Rollendebüt in der Titelrolle gibt - ein Energiebündel, das sich kaum bändigen zu lassen scheint. Mit dieser verspielten, verzaubernden Art gewinnt der italienische Tenor das Publikum sofort, zumal er sich sängerisch ebenfalls von der grosszügigen Seite zeigt. Er kann es sich leisten, seine Stimme folgt ihm in erstaunlicher Weise in seine Eskapaden. Kaum eine Phrase, die er nicht mit überraschenden Akzenten, Wendungen, plötzlichen Wechseln in Tempo und Dynamik garnierte - ein souveränes Spiel mit den Möglichkeiten von Stimme und Partie, das ungemein erfrischend und sympathisch wirkt.

Ein besonderes Debüt feierte auch der Dirigent: David Zinman, seit elf Jahren Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters, stand zum ersten Mal auf der anderen Seite der Limmat am Pult. Einige Opernerfahrung bringt er mit, und er hielt auch in dieser wahrlich nicht einfachen Premiere die Fäden in der Regel souverän - in durchwegs zügigen Tempi - in der Hand. Er nahm Offenbachs romantische Orchestersprache nicht zum Anlass für üppige Klangtableaus, sondern las die Partitur sehr differenziert und durchsichtig, betonte immer gerne die Bläserfarben und blieb dynamisch stets aufmerksam.