Pechvogel und Zappelphilipp

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (15.03.2010)

Les Contes d'Hoffmann, 13.03.2010, Zürich

Das Opernhaus Zürich hat mit Jacques Offenbachs «Les Contes d’Hoffmann» wenig Glück.

Es gibt wenig Gründe, Jacques Offenbachs «Les Contes d’Hoffmann» nach 15 Jahren neu zu inszenieren. Aber ein Opernhaus kann sich die Gründe schaffen – und für einmal war man in Zürich dabei fleissig.

Erstens konnte man die fragmentarische Oper endlich in einer seit 2005 vorliegenden neuen Fassung einstudieren. Zweitens standen auch ein Zürcher Regiedebüt und die kühne Tat der rumänischen Zürcherin Elena Mosuc an, alle vier, üblicherweise auf mehrere Sängerinnen verteilten Frauenrollen selbst zu singen. Als dann aber diese Elena Mosuc am Freitagabend ihren Auftritt krankheitshalber absagte, mussten gleich drei Sängerinnen als Ersatz her. Immerhin konnte der Pechvogel Mosuc am Samstag engagiert spielen und leise sprechen, derweil die Einspringerinnen am Bühnenrand sangen.

Lange vorher schon hatten sich Schatten über die Produktion gelegt. Einen Tag vor Probenbeginn im Februar hatte Regisseur Thomas Langhoff abgesagt, Hausregisseur Grischa Asagaroff sprang ein. Er übernahm von Langhoff naturgemäss den Bühnenbildner Bernhard Kleber. Mit ihm hatte Asagaroff schon zusammengearbeitet, es gab wohl keine unvereinbaren ästhetischen Gesichtspunkte.

So sehr es Asagaroff im Unterschied zu vielen Wirbel machenden Regisseuren versteht, Szene und Musik ideal zu verbinden, gelingt ihm diesmal eine Zeichnung der Personen nicht. Asagaroff erzählt in der Schankstube nüchtern von Glas zu Glas. Nicht, dass er uns über das Seelenleben der Puppe Olympia viel offenbaren müsste, aber vom Wesen Hoffmanns wollen wir mehr erfahren: Warum die Sucht nach diesen eigenartigen drei Frauenfiguren? In einem so romantisch-fantastischen Stück, bei dem wir uns dauernd fragen, was dies und das zu bedeuten hat, wäre mehr Fantasie und Zauber nötig.

Hatten wir Vittorio Grigolos jugendlichen Übermut in Verdis «Il Corsaro» bejubelt, wirkt er jetzt als Titelheld trotz zwischenzeitlich süssester Kantilenen nur mehr wie ein Zappelphilipp. Sein wirkungsloser szenischer Übermut zeigt sich auch in der Stimme: Die grosse Geste gelingt prächtig, doch wenn es um die Feinzeichnung geht, versagt er. Er schafft es nicht, legierte Pianissimo-Phrasen zu bilden, immer sind sie von rezitativischen – sprachlichen – Betonungen gestört. Zudem singt Grigolo fast keinen einzigen Ton länger als drei Sekunden gleichmässig. Das sind nur einige Mängel in einer Tenorstimme, die zurzeit zwischen New York und Mailand hoch gehandelt wird...

Die drei Einspringerinnen Sen Guo (Olympia), Raffaela Angeletti (Antonia) und Riki Guy (Giulietta) singen gut, derweil Michelle Breedt als Muse/Niklausse nie richtig ins Spiel fand. Der französische Bassbariton Laurent Naouri verleiht durch seine warme, bisweilen gar helle Stimme den Bösewichten menschliche Züge. Er singt sehr exakt, aber selbst diese dankbaren Figuren bleiben blass.

Mit Spannung hatte man auf das Zürcher Operndebüt des Tonhalle-Chefdirigenten David Zinman gewartet. Man hört förmlich, wie genau er die Partitur las – bezeichnend die berüchtigt-berühmten «Barcarole»: Aufgefächert ist da der Klang, die Hauptstimmen erhalten charaktervolles Gewicht und keine überbietet die andere. Doch Hoffmann soll danach ausrufen: «Ein Liebesgesang schwebt in den Lüften!» Von solchem Flirren aber ist bei Zinman wenig zu hören. Er bleibt der geradlinige Umsetzer: Theaterzauber und -effekt scheut er, konsequent belässt er Arien- und Ensembleschlüsse als Beiläufigkeiten.

Beiläufigkeiten reihen sich in diesem «Hoffmann», dem das Publikum trotz den einst hoffnungsvollen Ansätzen denn auch bloss höflich applaudierte, bis zum Schluss brav aneinander.