Muskelspiele eines ewigen Operndämons

Herbert Büttiker, Der Landbote (15.03.2010)

Les Contes d'Hoffmann, 13.03.2010, Zürich

Wer «Les Contes d’Hoffmann» auf den Spielplan setzt, muss mit allerhand Obstruktion rechnen. Auch das Premierenglück im Opernhaus Zürich ist nicht selbstverständlich – aber umso erfreulicher als Ergebnis eines langen Abends.

Am Tag vor der Premiere erhielt Elena Mosuç vom Arzt Singverbot. Sie würde sonst ihre Karriere ruinieren, erklärte Alexander Pereira dem Publikum vor dem Vorhang, und das klang, als ob er vom Inhalt der Oper sprechen würde. Zu «Hoffmanns Erzählungen» als Oper, die das Unglück anzieht, passt auch, dass die Stimmbandentzündung für diese Produktion gleich ein multiples Problem darstellte: Elena Mosuç wollte, was selten gewagt wird, alle vier Frauenpartien übernehmen, sodass gleich mehrere Einspringerinnen her mussten, um am Bühnenrand der stummen Protagonistin die Stimme zu leihen.

Im Falle der Olympia, deren Koloraturen Sen Guo perfekt platzierte, ergab sich daraus sogar ein szenischer Zusatzeffekt von besonderem Reiz, mit Raffaela Angeletti erhielt Antonia eine musikalisch äusserst intensive Lebendigkeit und damit das A und O der Partie, und für den problematischsten Einsatz als Giulietta – Erotik in Stimme und Erscheinung gehören da in eines gesetzt – gab Riky Guy ansprechende, wenn auch etwas blasse musikalische Präsenz. Insgesamt war es erstaunlich, wie wenig die besonderen Umstände die Inszenierung beeinträchtigten: Der Premierenerfolg war mehr als Lob für gutes Krisenmanagement.

Nüchternheit und Magie

Dabei war es nicht die erste Krise für die Produktion: Vor Probenbeginn musste sich der Regisseur aus Krankheitsgründen zurückziehen und Grisha Asagaroff als kompetenter Retter einspringen. Eine in der Verbindung von Nüchternheit und Magie suggestive Bühne (Bernhard Kleber) und klar zeichnende Kostüme (Florence von Gerkan) waren für ihn gute Voraussetzungen, ein packendes Spiel zu inszenieren, das die widrigen Umstände im Vorfeld vergessen liess.

Von Anfang an geplant war eine andere Besonderheit dieser Produktion: ihre musikalische Leitung durch den Tonhalle-Chef David Zinman, der zum ersten Mal im Opernhaus Zürich arbeitet und mit einer stimmungsstarken und dramatisch stringenten Umsetzung der Partitur aufwartete. Zu hören war ein reich nuanciertes und auch in Nebenstimmen stark profiliertes Klangbild, präsent vor allem auch mit der Sogkraft des Rhythmischen, aber auch mit einer dynamischen Souplesse, die den Stimmen auf der Bühne den gebotenen Raum liess. Zinmans Faible für die Oper und Offenbach speziell war offensichtlich, oder hat man das Antonia-Finale oder die Barcarole schon eindringlicher gehört?

Überhaupt darf das Zürcher Pech mit Offenbachs Operndämon als vergleichsweise harmlos bezeichnet werden. Der Komponist selber arbeitete am Ende seines Lebens an seiner «Opéra fantastique» im Wettlauf gegen die Zeit, den er verlor. Er starb vor der Uraufführung und hinterliess sie unvollendet. An der Opéra comique wurde am 10. Februar 1881 eine unvollständige Fassung uraufgeführt, und auch künftig war Improvisation mit Umstellungen und fremden Zusätzen im Spiel, sogar die Reihenfolge der Akte variierte. An der ersten Aufführung an der Wiener Staatsoper 1882 kam es zur Brandkatastrophe, die 400 Menschen das Leben kostete und bei der auch originales Aufführungsmaterial verloren ging. Erst in den 1980er-Jahren machten ein Notenfund – der Stapel lag als Brennmaterial neben einem Kamin – und das wiederentdeckte Originallibretto die integrale Rekonstruktion der Oper von Michael Kaye und Chirsophe Keck möglich, die seit ein paar Jahren vorliegt und jetzt auch im Opernhaus Zürich zu erleben ist

Alkohol und Apotheose

Gegenüber älteren Fassungen bedeutet die neue vor allem eine Aufwertung der Rahmenakte und der Figur der Muse respektive Nicklausse, der Begleiter des Dichters, daneben auch ein schlüssiges Finale des Giulietta-Akts. Klarer wird so die Gesamtkonzeption als Künstlerdrama, die dem Dichter für die Niederlagen im Leben nicht nur den Alkohol als Trost übrig lässt, sondern ihm in der Gloriole des Orgelklangs die «Apothéose» bereitet: «On est grand par l’amour et plus grand par les pleurs!»

In der Oper erzählt der als «Gespenster-Hoffmann» apostrophierte Dichter drei Liebesgeschichten, die er als Facetten seiner Begegnung mit der einen Frau, der Sängerin Stella, versteht. Es sind Fantasmagorien, in denen er selber als Protagonist unglücklich mitspielt. Und wie! Die schöne Olympia erweist sich als mechanische Puppe, die vor seinen Augen auseinandergerissen wird, die gefühlvolle Antonia stirbt als kunstsüchtiges Wesen am Singen, die Kurtisane Giulietta stürzt ihn in Venedig in einen Sumpf von Begierde und Verbrechen.

Und jedesmal arbeitet ein dämonischer Widersacher dem unheimlichen Ende der Beziehung zu – es ist der Gesellschaftsmensch, dem schliesslich auch Stella zufällt. Als dieser Lindorf alias Coppélius, Docteur Miracle und Capitaine Dapertutto macht Laurent Naouri mit aller funkelnden Ironie und baritonalen Schwärze und Wendigkeit den bourgeoisen Finsterling zur Hauptfigur im dunklen Grund der Oper, in der auch skurrile Figuren aus dem hoffmannschen Kabinett irrlichtern. Martin Zysset zeichnet hervorragend die hilflosen und beschädigten Kreaturen des Dienstpersonals, und markant besetzt sind auch die «Väter», der Automatenbauer Spalanzani (Benjamin Bernheim) und der verzweifelte Rat Crespel (Giuseppe Scorsin) sowie etliche weitere Nebenfiguren im personenreichen Stück.

Dass nun auch die Doppelgestalt als Muse und Famulus zu den zentralen Figuren der Oper gehört, bestätigt Michelle Breedt mit grosser stimmlicher Leuchtkraft, und sie trifft auch den mysteriösen Charakter dieses seltsamen androgynen, ständig präsenten und doch wie abwesenden Begleiters des Dichters.

Empfindsamer Draufgänger

Dichter? Vittorio Grigiolo, der als Hoffmann debütiert, wirft sich mit unerhörtem Elan in die Schlachten seiner Liebeswerbungen, mit tenoralen Aufschwüngen noch und noch, aber auch mit viel weicher Lyrik, dabei kontrolliert und doch mit temperamentvoller spielerischer Spontaneität. Wenn die Inszenierung Olympia als Karikatur von Marilyn Monroe zeigt, so denkt man bei ihm vielleicht an einen schmachtend hyperaktiven Filmhelden à la James Dean. Allerdings ist eine Entwicklung der Figur über die Akte kaum zu erkennen und für den Eintritt in den Poetenhimmel scheint es am Ende doch noch reichlich früh. Aber alle Sympathien für so viel Emphase und Souveränität hat er auf seiner Seite.