Wenn der Teufel seine Finger im Spiel hat

Anna Kardos, Tages-Anzeiger (15.03.2010)

Les Contes d'Hoffmann, 13.03.2010, Zürich

Vittorio Grigolo brillierte in Offenbachs «Les Contes d’Hoffmann», Elena Mosuc blieb dagegen nur die Pantomime. Und David Zinman gab ein starkes Debüt im Orchestergraben des Zürcher Opernhauses.

Es ist, als hätte der Teufel höchstpersönlich seine Hände im Spiel. Nicht genug damit, dass der Komponist Jacques Offenbach während der Arbeit an «Les Contes d’Hoffmann» starb und die Oper nach E. T. A. Hoffmanns diabolisch-romantischen Novellen unvollendet blieb. Bei der zweiten deutschsprachigen Aufführung gab es einen Theaterbrand mit knapp 400 Opfern. Die Gerüchteküche brodelte: Wenn man vom Teufel spreche, dann komme er. Und wenn man ihn gar auf die Bühne zitiere, lasse er sich erst recht nicht zweimal bitten.

Nun, in Zürich hat der Teufel zwar nicht gerade seine Hand im Spiel, aber den kleinen Finger hat auch das Opernhaus zu spüren bekommen: Zunächst, als Regisseur Thomas Langhoff einen Tag vor Probebeginn schwer erkrankte und der gute Hausgeist Grischa Asagaroff für ihn einspringen musste. Dasselbe Szenario bot sich einen Tag vor der Premiere bei der Hauptdarstellerin Elena Mosuc. Diagnose: Entzündete Stimmbänder. An Singen war nicht mehr zu denken, und so gestaltete Mosuc den Abend als stumme Operndiva, während rechts oder links von ihr eigens eingeflogene Sängerinnen mit Notenpult standen, die dieser Pantomime tönendes Leben einhauchten.

Doch so viel der Teufel hinter der Bühne herumgespukt haben mag, auf die Bühne selbst mochte er sich an diesem Abend nicht so recht begeben. Oder blieb er nur auf halbem Weg zwischen Hoffmann’scher Romantik und Offenbach’scher «Gaîté Parisienne» stecken? Auf Unheimliches jedenfalls, auf Verrückungen und dunkle Ahnungen wartete man vergeblich. Sie fanden ihren Platz lediglich im Bühnenbild (Bernhard Kleber) mit aufgemalten Wolken wie von Caspar David Friedrich, alchemistischen Zeichen und magnetischen Steinbrocken.

Weitertrinken, weitererzählen

Inmitten dieser Kulisse lebt und liebt E.T.A Hoffmann, literarischer Schöpfer und gleichzeitig Hauptfigur dieser Oper. Aber liebt er wirklich? Sind die drei Frauen (alle dargestellt von Mosuc), die ihm begegnen, nicht bloss Trugbilder seiner alkoholgesättigten Fantasie? Seine Muse (Michelle Breedt) jedenfalls versucht ihm das weiszumachen. Nur die vierte Frau, die Opernsängerin Stella (ebenfalls Mosuc), ist real. Darüber besteht für einmal kein Zweifel. Aber nun ist es die Liebe selbst, die zum Trugbild wird. Greift Hoffmann nach ihr, hat er nichts in der Hand als ein paar Erinnerungen und Missverständnisse. Träume gehen über in Erinnerungen und Reflexionen - und Hoffmann weiss bald selbst nicht mehr, woran er ist (genauso wenig wusste es manchmal der wirkliche Hoffmann). Wenn sich alles vermischt, ist das Einzige, was ihm bleibt: Weitertrinken - und weitererzählen. Von Olympia, der liebreizenden Puppe, Antonia, der jungen Sängerin, und Giulietta, der Kurtisane, die mit dem Teufel im Bunde steckt.

Offenbachs Oper ist ein Vexierspiel, ein Spiegelkabinett von Einflüssen, Stoffen und doppelten Böden. Dicht an dicht folgen sich die Reflexionen, derart dicht, dass Grischa Asagaroffs Regie manchmal hängen blieb. So wusste der Chor zwar sehr wohl, was singen, aber oft nicht recht, wie agieren. In seinen Fantasiekostümen (Florence von Gerkan) erinnerte er an die fantastische Staffage von Alice im Wunderland. Auch die Komik versickerte zwischen den Doppelungen. Nur Hoffmanns Widersacher, der ihm als reicher Nebenbuhler, als Sandmann oder als Teufel höchstpersönlich begegnet, schien auf der Bühne weit weniger dämonisch denn konkret - und ebenso geradlinig tönte er auch bei Laurent Naouri. Das Zwielicht der Romantik als konkrete Kunst also, als architektonisch durchgestaltete Affäre. Dass dieses Licht auf kaltes Spiegelglas fiel, brachte den Abend nicht wirklich zum Glühen.

Ausser wenn Vittorio Grigolo als Hoffmann auf der Bühne stand. Sang er, knisterte die Luft: Seine Phrasen waren plastisch ausgestaltet, die Stimme grosszügig steigerbar, der Schliff umso exakter. Vibrierende Leidenschaft stand ihm genauso gut wie packendes Rezitieren. Schlicht mitreissend, wie er vor versammelter Runde seinen «Kleinzack» erstehen liess. Zack! stand er inmitten seiner Zuhörer. Zack, zuckten seine Glieder, als er die wunderliche Gestalt mimte. Für einen Moment schwappte die Illusion auch auf den Zuschauerraum über. Da spielte der Darsteller des Hoffmann eine literarische Figur des Autors Hoffmann mit einer Erzähllust, dass die verschiedenen Ebenen tatsächlich ineinander zu schmelzen begannen.

Zuletzt ein Aufatmen

Dabei hatte Grigolo an diesem Abend alles andere als ein leichtes Spiel. Die Pantomimin Mosuc im Arm, musste er Duett mit drei ihrerseits unbeweglichen Sängerinnen singen. Mit Sen Guo als Olympia, die ihren sehr leichten, hellen Sopran mit müheloser Beweglichkeit in die Koloraturen wand. Mit der von Raffaella Angeletti gesungenen Antonia. Ihr warmes Timbre, ihre dunklere Stimme bargen vielleicht noch mehr Facetten, die man gerne in einem ausgearbeiteten Zustand gehört hätte. Riki Guy als Kurtisane Giulietta schliesslich sang ebenfalls mit viel Wärme und Sanftheit, hatte aber am meisten Mühe, gegen das Orchester der Oper anzukommen.

Und dieses bot an dem Abend seine ganz eigene Premiere. Geleitet wurde es nämlich vom Tonhalle-Chefdirigenten David Zinman - zum ersten Mal in dessen mittlerweile 15-jähriger Tätigkeit in Zürich. Dass man sich trotzdem nie in der Tonhalle wähnte, hatte nur mit der eigenen Klanglichkeit des Orchesters zu tun. Denn im Orchestergraben stoben die wohlbekannten Zinman’schen Funken. Das Ensemble spielte schwungvoll, dabei dynamisch profiliert. Und all das fand Platz unter einem grossen musikalischen Bogen.

Etwas mehr von diesem Schwung wäre auch der Inszenierung zugute gekommen. Vielleicht wäre man dann weniger schnell ermüdet im Dickicht der Reflexe. So aber ging ein Aufatmen durch die Ränge - und nicht zuletzt über die Bühne - als Hoffmann sich schliesslich innerhalb der klaren vier Wände seiner Stammkneipe wiederfand.