Mozart im Designerlook

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (27.03.2010)

Le Nozze di Figaro, 25.03.2010, Basel

«Figaros Hochzeit» am Theater Basel neu gesehen und neu gehört

Mozarts komische Oper «Le Nozze di Figaro» bietet einem Schauspielregisseur eine erste Opernchance und einem grossen Mozartdirigenten ein Comeback.

Am Anfang steht eine Zurückweisung. Die Gräfin Rosina will nicht von ihrem Mann umarmt werden und wendet sich ab. Dann wird das Kinderzimmer mit den Stofftieren geräumt, hier sollen die Bediensteten Susanna und Figaro einziehen. Ende des Projekts Familie. Dieser Opernanfang während der silbrig-fein gespielten Orchester-Ouvertüre ist die Schlüsselszene für Elmar Goerdens Inszenierung der beliebten Mozart-Oper nach Lorenzo da Ponte. Die gräfliche Ehe ist zerrüttet, vielleicht wegen der Kinderlosigkeit, vielleicht ist die Kausalität auch umgekehrt. Jedenfalls wird rasch nachvollziehbar, dass sich die Gräfin mit Cherubino einlässt und der Graf Susanna nachstellt – um nur zwei der vom Stück angebotenen Konstellationen zu nennen. Die Schlussszene, in der die Paare unwissentlich einen Seitensprung mit dem eigenen Partner vorbereiten – der Graf mit der Gräfin, Figaro mit Susanna –, gewinnt dadurch an maliziöser Komik.

BEWEGT. Der Bochumer Schauspielintendant Elmar Goerden hat mit «Figaro» seine erste Operninszenierung gewagt und das Publikum damit zumindest nicht geschockt. Seine moderne Inszenierung erzählt das Stück fantasievoll, schnörkellos und ohne übergestülpte Deutungsakrobatik. Liebe wird mit Sex gleichgesetzt, Groll mit Schlägereien – kein Hauch von Rokoko-Prüderie. Es wird viel geküsst und geohrfeigt, die bewegungsfreudige Personenführung leistet ganze Arbeit.

Neue Züge gewinnt die Regie den Figuren dabei nicht ab. Susanna ist das bekannte quirlige Zofenkätzchen, Figaro der schlitzohrig-geldgierige Liebhaber. Die Gräfin mimt ganz Edelmut, bis sie ihre unterdrückte Leidenschaft entdeckt, der Graf fällt am Ende reumütig vor ihr auf die Knie – bis zur nächsten Affäre. Und Cherubino, diese von Mozart einer Frauenkehle anvertraute Inkarnation spätpubertärer Allverliebtheit, ist ganz, was wir an dieser Figur schätzen: eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Das ist über drei Spielstunden hinweg unterhaltsam, wenn auch nicht tiefgründig.

BELEBT. Das Bühnenbild von Silvia Merlo und Ulf Stengl zeigt einen schräg über dem Orchester platzierten Bühnenkasten, der wie ein Terrarium wirkt – Bestiarium der menschlichen Emotionen. Wir sind zuerst im Schlafzimmer des jungen Paares, das erst das riesige Bettgestell transportieren muss, was die Männer überfordert und erst der patenten Susanna gelingt. So eine sollte man haben! Später blicken wir in das mit einem riesigen Kleiderfundus und allerhand Designerschick ausgestattete Interieur des gräflichen Palastes und in den mit Kakteen bewachsenen Garten, in dem die finale Verwechslungs- und Enthüllungsszene stattfinden wird.

Die Regie macht es der Musik nicht immer einfach, sich verständlich zu machen. Der klangliche Zauber der Schlussszene findet im coolen Outfit und dem stachligen Kakteenhain auf der Bühne kein Pendant. Und der zweite Aktschluss mit dem grossen Ensemble findet um des Regisseurs Willen im Bad statt – bei eingeschränktem Sichtkontakt der Sänger zum Dirigenten, der so nicht recht koordinieren kann. Im Übrigen kann sich Mario Venzago nicht über Mangel an Gefolgschaft beklagen. Das Sinfonieorchester Basel hängt ihm aber an den Fingerspitzen und realisiert in vielen Arien einen wunderbar leichten, nie flachen Mozart-Klang. Stellvertretend sei die Begleitung der Gräfin-Arie «Dove sono» im dritten Akt und der Susanna-Arie im vierten Akt mit erlesenem Holzbläseranteil genannt. Bis zum Schluss gab es in der Premiere orchestral keinen Spannungsabfall.

Dirigent Venzago – nach seiner gefeierten Schoeck-«Penthesilea» erneut als Gast am Theater Basel – wählt mit dem Sinfonieorchester Basel sehr entschiedene, nie bloss routiniert wirkende Tempi. Für manches nimmt er sich alle Zeit der Welt, wie für das Andante der von Maya Boog mit erlesenem Piano gesungenen Susanna-Arie im vierten Akt oder die Kniefallszene am Schluss. Anderes wie die Märsche darf auch mal militärisch und mit ventillosen Hörnern krachen. Dass der Orchestergraben erhöht und der Dirigent fürs Publikum gut sichtbar ist – es ist nicht nicht nur eine Äusserlichkeit.

beseelt. Ein hoch motiviertes junges Sängerensemble unterstützt dieses intelligente Mozart-Konzept mit Erfolg. In der Titelpartie erlebt man den Bariton Eung Kwang Lee in einer temperamentvollen, sängerisch souveränen Darstellung – er verziert noch munter, wenn andere längst atemlos wären («Se vuol ballare…»). Schmierig ist nur die Figur, nicht die Stimme, die durch sauberen Sitz einnimmt. Seine Susanna in der Verkörperung durch Maya Boog klingt am Anfang leicht flatterig, gewinnt aber zunehmend an Stabilität und wird einigen Ensembles eine leuchtende Klangkrone aufsetzen.

Die Contessa von Jacquelyn Wagner eröffnet den zweiten Akt mit ihrer höchst differenziert gesungenen, verästelten Cavatina «Porgi amor…» und wird auch späterhin nicht enttäuschen. Ihr Gatte, der Graf Almaviva von Eugene Chan, verblüfft allein schon durch die Tatsache, dass der junge Amerikaner noch Mitglied des Opernstudios OperAvenir ist und schon eine Hauptrolle singt – und dies ohne Fehl und Tadel. Eine Glanzpartie ist der Cherubino von Franziska Gottwald, die gleich in ihrer Auftrittsarie beweist, dass die Es-Dur-Arie «Non so più cosa son» nicht nur gesprochen, sondern auch gesungen ein herrliches Stück Musik ist.

Bravi für die Sänger, leicht gedämpfter Schlussapplaus für die Produktion.