Die vitalen Klänge des Begehrens

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (27.03.2010)

Le Nozze di Figaro, 25.03.2010, Basel

Ein spannungsreicher Abend ist die Aufführung von Mozarts «Le nozze di Figaro» am Theater Basel dank Mario Venzagos Interpretation und den jungen Solisten.

Dirigent Mario Venzago wagt viel in der neuen Aufführung von Wolfgang Amadé Mozarts «Le nozze di Figaro» am Theater Basel, die am Donnerstag Premiere feierte. Und er gewinnt. Mit eigenem Zugriff, in dem er die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis mitdenkt, lotet er Mozarts Partitur in ihrer Dynamik und Dramatik aus. Venzago setzt auf einen schlanken aufgerauten Klang, der dem emotionalen Chaos in den Figuren Ausdruck gibt.

Vom Begehren, das sich abseits von Moral und Konvention, abseits des bewussten Wollens selbstständig macht, erzählt Mozarts Opera buffa von 1786, zu der Lorenzo da Ponte das Libretto verfasst hat. Sie erzählt von verborgenen Sehnsüchten, von unkontrollierten Gefühlen und von sexueller Gier. Hier wird gelogen, betrogen, geliebt und gelitten.

Figaro und Susanna, die Diener des Grafenpaars Almaviva, wollen Hochzeit feiern. Der Graf aber, der seiner Gräfin immer wieder untreu wird, will Susanna in sein Bett locken. Dass der Graf dafür das von ihm selbst abgeschaffte Recht des Feudalherrn auf die erste Nacht, durch die Hintertür wieder einführen will, kann in heutigen Aufführungen keine Rolle mehr spielen. Heute ist es – wenn schon – der Reichtum, der ihm Glanz verleiht. Zu diesem Quartett kommt Cherubino, der junge androgyne Verführer, der alles durcheinanderbringt, von den Männern gehasst und von den Frauen vergöttert wird.

Mozarts Musik ist die Sprache des Begehrens und sie vermittelt den Kampf zwischen den Emotionen. Sie erzählt, dass der Graf Susanna fasziniert, obwohl sie sich das nicht eingesteht. Venzago bringt die Tiefenschichten zur Sprache. Susanna bietet dem Grafen in der Hochzeitsnacht ein Treffen an; der Plan ist, dass die Gräfin in Susannas Kleidern dort hingeht und den Grafen täuscht. Wenn im Duettino die Gräfin Susanna den Brief diktiert, lässt Venzago den Gesang stocken und deckt die Liebessehnsucht beider Frauen auf. Er spitzt zu, schärft die Klänge. Konzentriert und engagiert folgt ihm das Sinfonieorchester Basel, das in historisch informierter Aufführungspraxis nicht geübt ist. Noch ist nicht alles perfekt, schleichen sich leichte Unsicherheiten ein. Aber das Risiko, das Venzago eingeht, zahlt sich aus.

Der Regisseur Elmar Goerden hingegen, Schauspieldirektor in Bochum, der mit «Le nozze di Figaro» seine erste Oper inszeniert, wagt nicht viel. Er verlegt die Oper in die heutige Zeit in eine schicke Villa. Silvia Merlo und Ulf Stengl haben ein stilechtes, geschmackvolles Bühnenbild geschaffen. Der Graf ist ein Wirtschaftsboss oder ein Hollywoodstar.

Elmar Goerden erzählt dem Libretto entlang – das aber genau. Am besten ist er, wenn er auf die Musik hört. Dass Susanna und die Gräfin der Erotik Cherubinos erliegen, macht er in einer subtil gezeichneten Szenerie deutlich – so im sexuell aufgeladenen Spiel zu dritt, wenn die beiden Cherubino als Frau verkleiden wollen. Goerden leuchtet die Ambivalenz der Gefühle gut aus. Wenn Susanna dem Grafen Interesse an einem Treffen vorspielt, gibt sie sich seiner Umarmung lustvoll hin.

Ansonsten aber verharrt die Inszenierung weitgehend an der Oberfläche. Die emotionalen Abgründe, die in allen Figuren klaffen, bleiben verborgen, teils verdeckt vom komödiantischen, aber nie klamaukhaften Spiel. Den Schluss verschenkt Goerden. Hier finden die scheinbar richtigen Paare zusammen, Mozart lässt aber offen, ob es wirklich die richtigen sind. Da genügt es nicht, dass der hinterhältige Intrigant Basilio, der Go-Between des Grafen, die Paare auseinandernimmt und anders ordnet. Das ist als Bild etwas belanglos.

Das mehrheitlich junge, spielfreudige Solistenensemble und der Theaterchor aber sorgen zusammen mit Venzago für einen spannungsreichen Abend. Da wird mit viel Feuer und Souplesse gut gesungen. Das die Hauptrollen verkör-pernde Quintett brilliert. Eung Kwang Lee ist mit seinem kernigen agilen Bass ein schelmischer Figaro. Bariton Eugen Chan vom Opernstudio überrascht als Conte mit Stimm- und Ausdruckskraft. Jacquelyn Wagner ist mit ihrem seelenvollen Gesang als Contessa eine Entdeckung. Maya Boog steigert sich sehr gut in ihre Rolle als gewitzte Susanna. Und Franziska Gottwald gibt einen betörenden Cherubino. Sängerinnen und Sänger wurden denn auch vom Publikum am meisten gefeiert.