Ein Mozart der Kantilenen und Kakteen

Herbert Büttiker, Der Landbote (27.03.2010)

Le Nozze di Figaro, 25.03.2010, Basel

Ein glänzendes Ensemble unter der Leitung von Mario Venzago in einer dichten Inszenierung: Das Theater Basel macht «Le Nozze» ohne Hauruck spannend.

Kakteen spielen eine ausnehmende Rolle. Kleine werden überreicht, grosse stehen im Garten. Man sticht sich in der neuen Basler Inszenierung von Mozarts «Le Nozze di Figaro» nicht nur an der berühmten Haarnadel. Das pikante Spiel des Begehrens wird von Elmar Goerden (der Schauspielregisseur und Bochumer Intendant inszenierte erstmals eine Oper) mit allen Spitzen vorgeführt. Die Fronten verwischen sich dabei, die Paarungen der Figuren bleiben am Ende labil und austauschbar.

Der narzisstische Aspekt der Liebe, die Goerden bei allen Figuren diagnostiziert, gibt ihnen etwas Fragiles und Schillerndes – durchaus am Puls der Musik, die in unvergesslichen Momenten aber auch hier deutlich macht, dass Mozart wie in allen seinen Opern das Paar nicht nur prüft, sondern auch feiert, flüchtig Susannas und Figaros «Pace, pace, mio bel tesoro!», in herausgehobener Finalität das «Contessa, perdono!». Dass es in diesem Stück mit Eros und Ethos der Musik geradezu zauberhaft zu und her geht, dafür darf Basel wieder einmal Mario Venzago feiern. Er lässt das Sinfonieorchester Basel auf historischen Trompeten und Hörnern spielen, bringt aber in einer grossartigen Synthese vieles zusammen, gestische Rhetorik, romantischen Belcanto und impressionistischen Klangduft, und es ist ein Mozart-Erlebnis für sich, wie das alles mit klaren Konturen, Sensibilität und Drive von ihm ausgeht und wie er mit der Bühne atmend alle Türen für einen grossen Sängerabend öffnet.

Hervorragendes Ensemble

Dabei gehören Orchester und Bühne eng zusammen. Das unterstreicht das Theater Basel einmal mehr schon baulich. Immer wieder werden hier neue Lösungen präsentiert, die Bühne und Orchester als Einheit erleben lassen, hier durch eine elegante Abwinkelung von Bühne und Orchester gegenüber der Symmetrie des Hauses. Ein Ensemble, das alle rhetorische Lebendigkeit im musikalisch gefassten Rezitativ realisiert, und grossartige Arienmomente noch und noch prägen das Spiel auf dieser Bühne: Franziska Gottwald als traumverwirrter Cherubino mit klar formuliertem Notentext und zerfliessendem Ausdruck; Maya Boog als zupackende wie sensible Susanna mit ihrer wie zeitlos blühenden Rosenarie; Jacquelyn Wagner als ganz unaffektierte Gräfin, die ihren Schmerz im klangintensiven grossen Legato berührend aussingt; Eugen Chan als herrischer, stimmlich aber eher leichtgewichtiger Almaviva (Höhenvarianten in der Arie änderten da wenig) neben Eung Kwang Lee als Figaro, der aus dem Vollen schöpft, vif, auftrumpfend, aber in der ganzen Tonskala musikalisch homogen und kontrolliert.

Pointiert spielt und singt im Ensemble auch die untergeordnete Liga: Der Gärtner im Overall, die Marcellina im Deuxpièces und alle anderen im Sittenbild, das hier nicht aus dem alten Europa stammt, sondern an modernen Südstaatenfeudalismus denken lässt: Der Kakteengarten, das Lichtermeer der fernen Grossstadt, die gestylten Räume in Pink und Pop-Art deuten in diese Richtung – und gehören zu einem Bühnenbild (Silvio Merlo, Ulf Stengl, Lydia Kirchleitner), das die Grenze vom Grandiosen zum Lächerlichen gekonnt auskostet und viel zur Attraktion der Inszenierung beiträgt. Schade, dass einem im Finale des dritten Aktes die mondäne Party vorenthalten wird. Ein wenig bemüht kommen dafür Schwärme von Papierfliegern zum Einsatz – aber auch diese sind spitz und gehören zum stachligen Spiel wie die Dornen der Kakteen.