Wenn das Schlafwandeln zur Opern-Krankheit wird

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (28.03.2010)

La Sonnambula, 26.03.2010, Luzern

Belcanto-Opern stellen hohe Anforderungen, das machte das Luzerner Theater am Freitag bei der Premiere von Bellinis Alpen-Oper «La Sonnambula» wieder einmal deutlich.

Es gibt nicht viele Opern, die in der Schweiz spielen. Eine der Ausnahmen ist Vincenzo Bellinis «La Sonnambula», 1831 für Mailand komponiert. Ein Dorf in den Bergen ist Schauplatz für die romantische
Geschichte um eine schlafwandelnde Dorfschönheit, die in der Nacht vor ihrer Traumhochzeit mit dem reichen Nachbarsbauern im Bett eines anderen erwischt wird. Zwar hat sie schlafwandelnd dahin gefunden, aber das will natürlich lange niemand glauben im bodenständigen
Alpendorf.

Paul Zoller (Bühne) und Katharina Gault (Kostüme) siedeln die Geschichte für ihre Luzerner Inszenierung im Heute an. Aber diese Gesellschaft wird man wohl nicht einmal im hintersten Muotathal so noch antreffen: Das Ehebett steht im Tenn, wenn noch ein bisschen Stroh herumliegt, ist das auch nicht schlimm. Zur Hochzeit bringt man die Flaschen, Suppen oder auch gleich ein Lamm selber mit. Stramme Kerle sind es, aufrecht und knorrig, die Frauen in Tracht und Kopftüchern, die Männer wissen anzupacken: Fast jeder, der sich in
dieser Inszenierung traut, etwas zu singen, wird gefesselt oder sogar aufgeknüpft. Tote gibts dann doch keine, wir brauchen die Belegschaft noch fürs Happy End, das mindestens für Lisa nicht glücklich ist: Amina,
die Schlafwandlerin kriegt dann doch den umworbenen Elvino, und nicht sie, dabei stand sie fast schon vor dem Altar.

Dacapo für einmal als Parodie

Verdient gehabt hätte Lisa das Eheglück - denn Katharina Persicke, die diese Partie übernahm, hat besser gesungen, hat trotz noch nicht ausgeheilter Bronchitis mehr Gespür für Bellinis Mischung von Linie
und Koloratur bewiesen als Sumi Kittelberger, die nicht nur gemessen an der Legende Callas die Titelrolle sängerisch nicht ausfüllen konnte. Nicht ohne eine gewisse Beweglichkeit sang sie, aber mit wenig
Klangfarben, eng in den Höhen, überfordert von wirklich akrobatischen Verzierungen und Sprüngen, die sie aber dennoch wagte und damit etwa das Dacapo in ihrer Schlussarie fast zu einer Parodie machte.

Ein Chor ausser Rand und Band

Auch sonst zeigte sich, dass man Belcanto nur machen sollte, wenn man es wirklich gut kann. Diese Musik wird sonst schnell sehr langweilig. Das beginnt im Orchester: Wenn nicht absolute Präzision, Spritzigkeit und Esprit herrschen, dann verliert die Musik ihren Reiz, und man kann sich höchstens noch über ein paar gelungene
Bläsersoli freuen. Rick Stengards bekam die Partitur an der Premiere lange Zeit nicht in den Griff. Viele Einsätze waren nicht synchron, fast jedes Tempo wackelte in der ersten Sekunde, der Chor liess sich manchmal überhaupt nicht bändigen, versuchte dies dafür mit einer
Lautstärke wettzumachen, die schier das Haus sprengte.

Davon liess sich der türkische Tenor Utku Kuzuluk als Elvino anstecken. Darüber hinaus blieben auch bei ihm Wünsche offen in Bezug auf die sängerische Delikatesse in Farben und Melodiegestaltung. Besser machte es Boris Petronje als Graf Rodolfo, bei dem nur das dunkle Timbre nicht so recht zum Stil Bellinis passen wollte.

Schlechtes Timing, fehlende Details

Leider stand auch die Inszenierung unter einem schlechten Stern. Der Tessiner Regisseur Lorenzo Fioroni erkrankte während der Proben, der
Regieassistent Johannes Pölzgutter arbeitete das Konzept fertig aus. Nicht zu seinem Vorteil: Einerseits geriet die Inszenierung überambitioniert, mit zahlreichen überflüssigen und sogar unlogischen Handlungen, andererseits wurden wichtige Details unterschlagen oder durcheinander gebracht. Örtlichkeiten wurden nicht differenziert, das Timing der Auftritte war zu wenig ausgearbeitet, die Personenführung nicht ohne Ideen, aber wenig konsequent. Eine Vorstellung wie mitten in der Probenarbeit: Da scheinen doch einfach zu viele Leute zu lange krank gewesen zu sein.