Liebesspiele im Kakteenwald

Michelle Ziegler, Neue Zürcher Zeitung (30.03.2010)

Le Nozze di Figaro, 25.03.2010, Basel

Wolfgang Amadeus Mozarts «Le nozze di Figaro» am Theater Basel

Übergrosse Kakteen zieren den Garten des Anwesens, im Hintergrund breitet sich das unendliche Lichtermeer einer Wüstenmetropole aus. Zwischen den phallusartig aufragenden Säulen wandeln die Drahtzieher der Opernkabalen. Die Stacheln der Pflanzen widerspiegeln ihre Aussichten und Absichten, es scheint ihnen allein um die Rache an den Geliebten zu gehen. Gleichzeitig sind hier echte Gefühle im Spiel: Ein aufgebrachter und verletzter Figaro beklagt die Untreue seiner Liebsten, Susanna gesteht sich ihre Bereitschaft zur Leidenschaft ein, der Graf geht voller Reue und Achtung vor seiner Gattin auf die Knie. In dieser Interpretation gewinnen die kompliziert gesponnenen Intrigen in Mozarts Oper vor allem eins: Glaubwürdigkeit, die im Sinne einer werktreuen Lesart steht.

In seiner ersten Operninszenierung holt der Schauspielregisseur Elmar Goerden den Zuschauer ganz nahe an die Figuren, direkt in ihre Gefühlswelten. Einen geradezu voyeuristischen Blick ermöglicht das Glashaus der Bühne, die Reality-Show, in der die Liebe in unterschiedlichster Art ausgelebt wird. Goerden schaut aber niemals auf die untreuen Liebenden hinunter, er entsagt wie Mozart einem moralischen Urteil. Alle Figuren, die sich in der äusserst stilvollen Ausstattung von Silvia Merlo und Ulf Stengl bewegen, sind Opfer der Liebe, die Goerden nicht nur in ihrer physischen Ausformung deutet, sondern als echte Emotion. Amors Pfeile – hier in Form von Papierfliegern – prasseln unbarmherzig nieder. Indem er am Ende selbst in eine Schachtel mit Fliegern greift, offenbart sich Cherubino, der blauäugige Jüngling, der gerade das Lieben lernt, als Schlüsselfigur, die Franziska Gottwald mit grossem mimischem Einsatz und stimmlicher Flexibilität gibt.

Überhaupt gelingt die Premiere vorab dank einem hervorragend besetzten Sängerensemble: Der Koreaner Eung Kwang Lee bedient sich der verschiedenen Timbres seiner Stimme mit Leichtigkeit und vereint Humoristisches mit Leidenschaft, Maya Boog als Susanna gelingt der Spagat zwischen weiblicher Opferrolle und Drahtzieherin. Ebenfalls solide, jedoch etwas wenig differenziert tritt Eugene Chan als herrischer Graf auf, seine anmutige Gattin, gespielt von Jacquelyn Wagner, begeistert mit ihrem warmen und klaren Sopran.

Was aus dem Orchestergraben klang, konnte am Premierenabend in den ersten beiden Akten nicht mit der Qualität des Gesangs mithalten. Mario Venzago schien dem musikalischen Geschehen mehr hinterherzuschauen, als es aktiv mitzubestimmen. Dies änderte sich in der zweiten Spielhälfte, wo er die Stimmungsbrüche in der Musik plötzlich deutlich aufzeigte und die Spannungen auf der Bühne mit dem Orchester nicht nur nachexerzierte, sondern den Sängern ein fruchtbares Fundament gab.