Hanspeter Renggli, Der Bund (03.04.2010)
Fantasiereich und durchdacht: Anna Dirckinck und Sibylle Wallum inszenieren Mozarts Krimikomödie «La Finta Giardiniera» im Stadttheater Bern. Nur bei der Musik werden Akzente und Konturen vermisst.
Der erste bedeutende Beitrag von Mozart zur Musikkomödie, das 1775 geschriebene Dramma giocosa «La Finta Giardiniera», steht in seiner Art zwischen allen Traditionen. Irrungen und Verwechslungen sind auf die Spitze getrieben, und doch durchpulst das Stück ein ernsthafter Grundton. Da stehen sich in der Charakterzeichnung maskenhafte Figuren aus der alten Stegreifkomödie gegenüber. Da kontrastieren leichtgefügte Arietten mit Klagegesängen der tragischen Art. Es ist keine leichte Aufgabe, diesem Stück auf der Bühne Profil zu verleihen, ohne auf der eine Seite die Verwicklungen ins Slapstickhafte abgleiten zu lassen oder aber der Komödie den Schwung zu nehmen.
Coca-Cola und Cowboystiefel
Das junge Regieteam Anna Dirckinck (Regie) und Sibylle Wallum (Bühne und Kostüme) hat mit dem in Bern nun realisierten Inszenierungskonzept 2009 den Europäischen Opernregie-Preis gewonnen (vgl. «Bund» vom 1. 4.). Indes, originelle Regieentwürfe sind die eine, ihre Bewährung auf der Bühne eine andere Sache. Das Resultat ist, dies gleich vorweg, fantasiereiches, an Geschichten und Witz übersprudelndes, in der Personenführung durchdachtes und in der optischen Umsetzung hintergründiges Regietheater.
Die in eine dunkle Kriminalkomödie gegossene Oper um Mord, Intrigen und Verwechslungen, parodistische Tribunale und menschliche Abgründe spielt in einem amerikanischen Motel. Hier reiben sich Menschen auf engem Raum aneinander, umwerben sich aber gleichzeitig. Am Ende finden zwar die «Hauptverdächtigen» glücklich zusammen, allerdings nicht ohne Fragezeichen an ihrem künftigen Glück innerhalb dieser heterogenen Gesellschaft zu hinterlassen.
Es sind die kleinen vielsagenden Details in den Kostümen und Requisiten, die das menschliche Umfeld abbilden. So gerät das billige Fernsehmöbel mit Lämpchen, Madonnenfigur und den «Playboy»-Journalen des Hausherrn zum Inbild des spiessigen Heims. Derweil ist der Coca-Cola-Automat das optisch wichtigste Objekt, von dem unter anderem Licht und Farbe ausgehen. Wenn der revolverbewehrte Hausherr zwar durchaus passend Cowboystiefel trägt, seine graue Perücke aber auch einen Zopf ziert, und Belfiore im Gehrock auftrumpft, zitiert Ko-Regisseurin Wallum fein und ironisch zugleich Rokoko-Muster.
Es sind wiederum nicht die vordergründigen Slapstickelemente der Regie, die das Handwerk von Dirckinck kennzeichnen, sondern die konterkarierenden Gesten. Violante etwa wird in ihrer Klage von Doppelgängern der Gesellschaft auf Händen getragen. Serpetta kriecht auf dem Boden, wenn sie von der Ehrlichkeit der Männer singt. Und Belfiore beschwört in der Pose des Gekreuzigten die Erlösung.
Brillantes Ensemble
Was fruchten indessen ungezählte szenische Einfälle und eine Vielzahl von Geschichten ohne ein agiles und williges Ensemble? Ihm gebührt denn auch in erster Linie die Ehre für den Erfolg der Inszenierung, wodurch die Diskussionen über den Wert eines festen Sängerensembles zur Makulatur werden.
Hélène Le Corre als Violante hat es innerhalb des üppig-irrlichternden Geschehens in ihrer tragisch-ernsten Pose nicht immer leicht, blüht aber im zweiten und dritten Akt durch lyrischen Ausdruck auf. Andries Cloete wiederum verkneift sich glücklicherweise die Leidenschaftlichkeit und setzt auf ironisch-lockere Züge. Fabienne Jost brilliert als die ihm zugedachte Arminda in einer sängerisch grossartigen, spielerisch resoluten Charakterrolle. Gerardo Garciacano bleibt als Nardo rollengemäss eher im Hintergrund, demonstriert aber auffallende stimmliche Sicherheit, während Matthias Grätzel als wenig erfolgreicher Frauenheld zwar in seinen Arien überzeugt, ansonsten stimmlich aber eher indifferent bleibt. Im Trubel des Geschehens ist die durchwegs ernsthafte Partie des Don Ramiro schwierig einzuordnen. Claude Eichenberger macht diese Schwierigkeiten, wie immer, mit stimmlicher Präsenz wett. Die tolle Ensembleleistung findet ihre eigentliche Krönung schliesslich in der Agilität, im unendlich scheinenden spielerischen Repertoire und in der virtuos-beweglichen Stimme von Anne-Florence Marbot als Serpetta.
Mangelnde Würze
Bei allen wunderbaren Einzelleistungen des Berner Symphonieorchesters, den brillanten Streicherskalen und den Lichtern, die die Bläser mancher Arie aufsetzen, bleibt der musikalische Gesamteindruck zwiespältig. Dass Dorian Keilhack dieser Musik kaum Akzente zu verleihen vermochte, zeigt sich bereits in den ersten Takten der Sinfonia. Die aufgewühlten Verzweiflungsarien beispielsweise weisen nur wenige Konturen auf. So dass man sich verwundert fragt, wo denn die vielen Erkenntnisse aus der jüngeren Mozart-Interpretation geblieben sind. Weiss die Regie das musikalische Potenzial vielfältig umzusetzen, bleibt etwa das Duett von Violante und Belfiore, eine der faszinierendsten Schöpfungen des jungen Mozart, spannungsloses Stückwerk.
Es sind die Komponenten Bühne, hintergründige und bewegte Regie und ein beherztes und glücklich agierendes Ensemble, die Mozarts Werk im Berner Stadttheater zu einem vor allem unterhaltsamen Abend werden lassen.